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Kirche und Unternehmerschaft noch immer eine Allianz

Artikel aus Januar 2019. Ein Name steht beispielhaft für der Vernetzung von Bremer Kirchenaktivisten der Domgemeinde, der bremischen Politik und vor allem der Interessenvertretung der bremischen Unternehmen in der Industrie- und Handelskammer: Harald Emigholz, Chef der alteingesessenen Reifenhandelsfirma gleichen Namens. Er war über lange Jahre Diakon der Domgemeinde und von 2016 bis 2018 Präses der IHK Bremen. Er ist kaufmännisches Mitglied des Hauses Seefahrt und war Schaffer. Er war auch Vorsitzender der Stiftung des kirchlichen Ökumenischen Gymnasiums Bremen. Ein Zufall oder die Spitze eines Eisbergs?

Die Führungsgremien der Industrie- und Handelskammer (IHK) sind überproportional besetzt mit Kirchenaktivisten der Domgemeinde und mit Abstrichen auch von anderen innerstädtischen oder evangelischen Gemeinden aus besser betuchten Stadtteilen. Eine zentrale Rolle für die Verbindung/Vernetzung von Kirche und Unternehmertum nimmt das Haus Seefahrt ein. Das Haus Seefahrt ist Mitglied des Diakonischen Werkes Bremen, des evangelischen Wohlfahrtsverbands und ist BremerInnen bekannt durch alljährliche Durchführung des Schaffermahls im Bremer Rathaus.

Bei Wikipedia findet sich folgende Eigenbeschreibung des Hauses Seefahrt (abgerufen am 14.10.2018): „Das Engagement der Mitglieder von Haus Seefahrt findet unter anderem in der ehrenamtlichen Arbeit der Handelskammer Bremen statt. Im Plenum der Handelskammer sind Mitglieder von Haus Seefahrt heute zu fast einem Drittel vertreten, im Präsidium zu gut 85 Prozent. Der Präses der Handelskammer Bremen ist zumeist Mitglied von Haus Seefahrt.“

Der Text stammt offensichtlich aus den Jahren 2003 bis 2007. Damals waren 6 von 7 Präsidiumsmitgliedern der Handelskammer auch Mitglied beim Haus Seefahrt.

Ende 2018 hatte das inzwischen mit der Bremerhavener Unternehmerkammer verschmolzene IHK-Präsidium zehn Mitglieder. Davon zwei Frauen und zwei Männer aus Bremerhaven. Es verbleiben somit sechs Männer aus Bremen, sie alle sind bereits Schaffer gewesen und Mitglieder des Hauses Seefahrt. Die langjährigen Diakone und Bauherren der Domgemeinde tragen überwiegend die „Schafferwürde“.

Es offenbart sich ein großes Netzwerk, das weit über die oben genannten Einrichtungen hinaus zivilgesellschaftliche und politische Positionen dieser Stadt bekleidet. Es ist eine Parallelgesellschaft des Geldadels mit weitreichendem Einfluss auf Politik und Staat.

Die Domgemeinde, die Kirche der feinen Leute

In Bremen kann sich jedes Mitglied der evangelischen Kirche seine/ihre Lieblingsgemeinde auswählen. Es ist eine lange Tradition, dass die christliche Unternehmerschaft Bremens die Domgemeinde zu der ihren erklärt. Die jetzige Vorsitzende der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), und ehemalige Bauherrin der Domgemeinde, Edda Bosse wohnt gar im niedersächsischen Leuchtenburg, der Diakon Henning Saacke in Bremen-Lesum. Die meisten zentralen Funktionsträger der Domgemeinde wohnen nicht im „normalen“ Territorium der Domgemeinde, dem Steintor, Ostertor, Gete oder Peterswerder. Wer in Bremen in der Parallelwelt des gehobenen Bürgertums, der Staatseliten, der Freunde der Galopprennbahn oder der Philharmonie ankommen will, geht als erstes den Schritt in die Domgemeinde, schickt die Kinder natürlich zur Konfirmation in den Dom und/oder aufs Ökumenische Gymnasium.

Die innere Struktur/Verfassung der Domgemeinde sorgt dafür, dass eine „feindliche Übernahme“ des normalen Kirchenvolkes nicht stattfinden kann und die jetzt etablierte Gruppe der Bremischen Kaufmannschaft sich selbst den Nachwuchs aus Ihresgleichen rekrutieren kann.

Der Kirchenvorstand besteht zur Hälfte aus den vier Bauherren, vier hauptamtlichen Predigern, vier aktiven Diakonen und 2 Altdiakonen, also 14 Personen. Die Kirchenmitgliedschaft wählt den Konvent und aus diesem werden noch einmal 14 zusätzliche Personen zum Kirchenvorstand bestellt. Diese insgesamt 28 Personen – Kirchenvorstand ­­– wählen wiederum die neuen Bauherren und bestimmen neue Prediger. Die tonangebende Gruppe innerhalb der Diakonie bzw. des Apparates kann sich somit ihren genehmen Nachwuchs auswählen, da ihnen mindestens die Hälfte der Mandate sicher ist.

Dies belegt die Wahl der Konventsmitglieder im Jahre 2017. Insgesamt haben 58 Personen kandidiert. Gewählt wurden 46. Davon waren 7 Beschäftigte bei Einrichtungen der Domgemeinde 5–7 gehörten zum Establishment der DG bzw. waren EhepartnerInnen.

Vor allem die Diakonie reproduziert sich selbst. Dazu aus einem Text des Seniors der Diakonie Götz Grevemühl in den Domnachrichten 2/2018: „Seit 1819 besteht die Domdiakonie aus 24 Mitgliedern. Die Domdiakonie wählt ihre Mitglieder jährlich durch Selbstergänzung (Kooptation) für einen festen Zeitraum von 12 Jahren und verjüngt sich somit ständig. Bei ihrer Aufnahme sind die Diakone zwischen 30 und 40 Jahre alt. Die überwiegende Zahl von ihnen sind selbständige Kaufleute oder Freiberufler und im Begriff, sich ihre berufliche Existenz aufzubauen.“

Im Jahr 2018 gibt es zwei interessante Diakon-Neulinge: Caspar Plump und Jörg Meyer Arnecke.

Meyer Arnecke ist im Wirtschaftsrat der CDU aktiv und hat Ende 2018 auch die Wahl ins Plenum der IHK geschafft. Caspar Plump stellte sich denn in den Domnachrichten als neuntes Mitglied seiner Familie vor, das als Diakon der Domgemeinde tätig ist. Dirk Plump, Vater des jetzigen Neudiakons, war in den Jahren 2003 bis 2006 Chef der IHK und vorher aktiver Domdiakon. Familie Plump ist Gesellschafter bei MAN Tiemann.

Von den 30 dauerhaften Entscheidungsträgern der Domgemeinde, ohne Einbeziehung der PredigerInnen, sind 17 Unternehmer, 5 Rechtsanwälte aus Wirtschafts- bzw. Steuerrechtskanzleien, 2 Steuerberater, 2 Geschäftsführer mittlerer Unternehmen, 1 Arzt, 1 Richter, 1 Architekt und der Geschäftsführer des Unternehmerverbandes in Bremen. Alle sind Männer. In dieser Runde der Diakone und Bauherren sitzt alter Bremer Unternehmeradel mit Rechtsanwälten aus Wirtschaftskanzleien und Unternehmensberatungsgesellschaften. Die Domgemeinde vereint in sich Patriarchat und Unternehmerherrschaft. Von der oft propagierten demokratischen Gesinnung der Evangelischen Kirche in Bremen ist in deren größter und einflussreichster Gemeinde nichts zu spüren. Deren Struktur entstammt dem Mittelalter.

Familienbande in der Domgemeinde

Die Familie Lamotte (Lamotte Oils, Lamotte Foods und Lamotte Services sowie eine Gesellschaft zur Sicherung des Grundvermögens) dürfte über ein angesammeltes Millionenvermögen von mindestens 150 Millionen Euro verfügen. Den Sprung unter die 1.000 reichsten Deutschen haben sie nur knapp verpasst oder wurden übersehen.

Hans Henry Lamotte (1922 bis 2003) war Aktivist der Domgemeinde, Diakon und 25 Jahre Bauherr. Zusammen mit seinem Schwager Johann Bosse gab er ein Buch über die Domgemeinde heraus. Er gehörte dem Präsidium der Handelskammer Bremen an, war zeitweise Vorsitzender des Hauses Seefahrt und natürlich Schaffer. Zwischenzeitlich auch Aufsichtsratsvorsitzender der halbstaatlichen Bremer Lagerhausgesellschaft und im Aufsichtsrat der Sparkasse Bremen. 1980 hielt er im Hause Seefahrt eine „bahnbrechende“ Rede zur Selbstständigkeit Bremens und der notwendigen Rolle der Kaufmannschaft und formulierte ein umfassendes Forderungspaket an die Bremer Politik. Mit Dom und Handelskammer im Rücken kann man das Rathaus sehr gut in die Zange nehmen. Die geforderten Privatisierungen, das Verabschieden von Sparhaushalten und der Umbau von Schulen und Hochschulen in Richtung Unternehmerbedarfe fanden ihren Eingang in die Politik.

Lamottes Tochter, Edda Bosse, Jg. 1953, auf der Webseite der BEK als Journalistin geführt, arbeitete im elterlichen Unternehmen und profiliert sich als Kunstmäzenin. (Philharmonie Bremen, Klahn Stiftung) Tatsächlich dürfte die Bezeichnung Millionenerbin zutreffender sein. Sie gehörte über Jahre dem Bauherrengremium, also dem geschäftsführenden Vorstand der Domgemeinde, an. Seit 2013 ist sie Vorsitzende der Bremischen Evangelischen Kirche.

Ihr Sohn Hermann Bosse ist als Geschäftsführer im Lammotte Firmenkonsortium tätig. Er ist zur Zeit Diakon der Domgemeinde und dort als Aufsichtsrat in der St. Petri Jugendhilfe und der Diakonischen Jugendhilfe (JUB) tätig.

Bruder Otto Lammotte ist derzeit Aufsichtsratsvorsitzender der Sparkasse in Bremen. Seine Ehefrau Nicole gehört dem Konvent / Kirchenvorstand der Domgemeinde an. Er selbst war bereits Präses der IHK und Schaffer.

Die Rolle der Domgemeinde innerhalb der BEK

Die Domgemeinde (DG) ist mit immerhin fast 10.000 Mitgliedern die größte Bremer Kirchengemeinde. Das Gewicht der Domgemeinde bemisst sich jedoch nicht allein an der Zahl der Delegiertenstimmen auf dem Bremer Kirchentag. Die Domgemeinde ist reich und verfügt mit ihren Beteiligungen und Stiftungen über erheblichen Einfluss in der BEK und dem Diakonischen Werk.

  • Die DG verfügt über drei Kindertageseinrichtungen (Bleicherstr., Kantorstr. und Sielwall 39) mit ca. 80 Beschäftigten.
  • Der DG gehören die St. Petri Kinder- und Jugendhilfe gGmbH mit ca. 160 Beschäftigten, zahlreichen Jugendbetreuungseinrichtungen sowie das St. Petri Witwenhaus als Pflegeeinrichtung mit 80 Beschäftigten.
  • Die DG verwaltet paritätisch mit der Ansgari-Gemeinde aus Schwachhausen die Eggestorff-Stiftung mit ca. 300 Beschäftigten.
  • Die DG kontrolliert zusammen mit der Stiftung Alten Eichen, die von der St. Remberti und der Ansgari-Kirche getragen werden, über St. Petri Jugendeinrichtung die Diakonische Jugendhilfe Bremen, JUB.

Die Kontrollfunktionen, die etwa Aufsichtsräten gleichen, werden von den Diakonen der jeweiligen Kirchengemeinden wahrgenommen. Allein für die Abwicklung der Geschäfte der Domgemeinde (Dommuseum, Stiftung etc.) ist eine Geschäftsführerin bestellt.

Insgesamt 700 Menschen arbeiten in der Domgemeinde selbst oder bei Einrichtungen, die teilweise bzw. vollständig von der DG kontrolliert werden.

Innerhalb des Diakonischen Werkes mit seinen 26 Mitgliedsverbänden nehmen die von Dom und Ansgari kontrollierten Träger sieben Stimmen ein. Zusammen mit den verschiedenen Einrichtungen der Stiftung Friedehorst mit fünf Einrichtungen und den sechs Evangelikalen Einrichtungen, die von Freikirchen, Baptisten und Pfingstlern getragen werden, können sie den Kurs des Diakonischen Werkes bestimmen.

Hier sollte noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden: Die oben genannten Einrichtungen der Jugendhilfe, der Pflege oder der Obdachlosenhilfe werden ausschließlich aus Steuergeldern der Stadt bzw. aus Beiträgen der Versicherungskassen aufgebracht.

Diakone und Kirchenvorstände der DG üben neben der Vorsitzenden Edda Bosse zentrale Funktionen in der BEK aus. Ein Kirchenvorstandsmitglied der DG ist Leiter der Kasse für die Pensionsversorgung ehemaliger Pastoren.

Aber auch andere Kirchen-/IHK-/Wirtschafts- und Politik-Karrieren aus den betuchten Innenstadtgemeinden lassen sich verfolgen. Andre Grobien, ebenfalls Mitglied der eine halbe Milliarde schweren Familie Grobien, jahrelang Bauherr der Ansgari Gemeinde, gehörte auch von bis 2018 dem Plenum der IHK an. Seit 2017 ist er Vorsitzender des Kuratoriums (Aufsichtsrats) der Stiftung Friedehorst, der mit ca. 1400 Beschäftigten größten kirchlichen Einrichtung in Bremen. Ehefrau Susanne ist Bürgerschaftsabgeordnete der CDU in Bremen. Ein weiteres Mitglied der Familie Grobien ist Bauherr der Domgemeinde. Im Aufsichtsrat von Friedehorst sitzt zudem Claudia Sandstedt. Ehemann Ralph Sandstedt (Lebensmittelunternehmen) gehört dem IHK-Plenum an.

Diese nur unvollständigen Zusammenstellungen lassen erahnen, dass die Bremer Unternehmerschaft in der bremischen Evangelischen Kirche und dem Diakonischen Werk einen bestimmenden Einfluss ausübt.

In der Bremischen Evangelischen Kirche bestimmen die Reichen. Die Armen dürfen beten und bekommen bestenfalls Almosen.

Die Macht der Kirche in den Händen der Bremer Unternehmerschaft mit der IHK im Rücken lässt erahnen, warum die von der jetzigen Koalition aus SPD und Grünen verabredete Anpassung des diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrechts aus der Koalitionsvereinbarung von 2015 nicht stattgefunden hat.