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900 000 Kirchenaustritte – der tiefe Fall der Amtskirchen

Über 900 000 Menschen sind im Jahre 2022 aus den beiden großen Amtskirchen ausgetreten. Einschließlich des Überschusses aus Sterbefällen versus Taufen haben die evangelische und die katholische Kirche fast 1,3 Millionen Menschen in einem Jahr verloren. Der Anteil der formellen Mitglieder der beiden Kirchen an der Gesamtbevölkerung beträgt noch schmale 47 Prozent. Mit Hessen ist ein weiteres westdeutsches Bundesland unter die 50 Prozent Quote bei der Kirchenmitgliedschaft gefallen. Ja nach Umfrage wollen weitere 25 bis 30 Prozent, also ca. 10 Millionen Menschen in naher Zukunft aus ihrer Kirche austreten. Nur noch 2 Millionen Menschen sind aktive KirchgängerInnen. Objektiv entsprechen diese Amtskirchen dem Charakter von Minderheitssekten.

Eine Studie der Uni Freiburg errechnete 2018 einen Mitgliederschwund der Großkirchen von etwa 560 000 pro Jahr. Seither haben die Kirchen statt der erwarteten 2,8 Millionen insgesamt 4,8 Millionen Personen aus den Karteien verloren.

Aber dennoch, von der Tagesschau, diversen Regionalsendern, der überregionalen Presse bis zu vielen Provinzblättern, von allerlei Personal aus Staat und Regierungsparteien und vor allem der politischen Rechten, bis zur „Jungen Freiheit“ wird von einer Katastrophe gesprochen. Angeblich stehen Kindergärten und kirchlichen Schulen vor dem aus, weil die Kirchensteuer einbricht. So sei das friedliche Miteinander der Menschen, der „soziale Frieden“ und der Zusammenhalt gefährdet. Angeblich leisten die Kirche so viel „Gutes“ in der Jugend-, und Sozialarbeit oder in der Altenbetreuung.

Soziale Arbeit leisten die kirchlichen Wohlfahrtsverbände dort, wo es Gelder von Kranken-, Pflegekassen oder direkt aus den Etats der Jugendämter gibt. Kirchensteuer kommt dort nicht an. Und wer angesichts der Missbrauchsfälle in beiden Kirchen, deren Jugendarbeit lobt, könnte auch gleich die Mafia zur Prävention gegen Geldwäsche und Drogenhandel empfehlen.

Die Kindergärten und Schulen in kirchlicher Trägerschaft, vom Staat und/oder Eltern bezahlt, dienen vor allem der Mission, der Gewinnung neuer Seelen. Sie dienen den Kirchen und ihrem Überleben, nicht den Kindern und der Gesamtheit der Menschen. Mit ihrem Ansatz; wir sind die „guten Christen“ und dort sind die „Anderen“, schaffen sie „Ungläubige“, „Abweichler“ und Menschen die bekehrt und / oder verachtet werden können.

Was aber veranlasst die politische Klasse und die etablierten Meinungsmedien, sich derartige Sorgen um die Kirchen zu machen ? Warum besuchen Scholz, Steinmeier und die Spitzen der Bundestagsparteien die schrumpfenden Kirchentage und finanzieren diese maßgeblich mit ?

Staat und Herrschaft brauchen Religionsgemeinschaften. Aufrüstung in der „Zeitenwende“ mit kirchlichem Seegen, schafft Akzeptanz für staatliches Handeln, hunderte Militärseelsorger, sogar mit einem Militärbischof stärken die Kampfmoral der Truppe. Abschottung an den EU Außengrenzen ohne die Zustimmung der Ethikwächter in Talaren würde schwieriger.

Der Staat fördert die Kirchen mit Steuervorteilen, direkten Zuschüssen, der Finanzierung des staatlichen Religionsunterrichts usw. mit ca. 25 Milliarden Euro jährlich. Der Staat braucht die Kirchen als ideologischen Apparat. Die Religionsgemeinschaften sind für diese Aufgabe bestens geeignet, denn sie praktizieren die Unterwerfung unter göttlichen Willen und kirchlich religiöse Dogmen. Die katholische Kirche ist das glatte Gegenteil von Demokratie und Gleichberechtigung. Die Unfehlbarkeit des Papstes, die vatikanische Allmacht innerhalb der katholischen Religionsauslegung, sind eine Blaupause für das Herrschaftssystem jeglicher Diktatur.

Fromme, Obrigkeitsgläubige religiöse Menschen sind bestens als untergebene Staatsbürger geeignet.

Die Symbiose aus Staat und Religionsgemeinschaften hat sich über Jahrhunderte für Staatsführer und Kirchenfürsten bewehrt. Sie handeln zum gegenseitigen Vorteil.

Die Massenaustritte und der Vertrauensverlust in kirchliche Ethikvorgaben, werden die Symbiose nicht in Frage stellen. Der Staat wird mit seinen Mitteln viel dafür tun, Religionsgemeinschaften wie die evangelische und katholische Kirche als verbundene ideologische Apparate zu stabilisieren und zu erhalten. Dabei geht es dem Staat auch darum in Deutschland neue Religionsgemeinschaften, wie die muslimischen Verbände oder orthodoxe Kirchen in das staatliche Gefüge einzubauen. Deren mittelalterliche Sexualmoral, ihre frauenfeindlichen Diskurse und Praxis oder der latente Antisemitismus einiger dieser Verbände sind für den deutschen Staat nicht das Problem, sondern allenfalls die zu enge Bindung an andere Staaten, etwa bei dem türkisch geprägten Moscheeverband DITIB oder der russisch Orthodoxen Kirche. Der vorgestellte Bericht „Muslimfeindlichkeit – Eine deutsche Bilanz“ , an der auch die Evangelikale Professorin Christine Schirrmacher mitgewirkt hat und das Auftreten der Bundesinnenministerin Faeser bei dieser öffentlichen Vorstellung, deuten die Richtung an: Islamische und Orthodoxe Religionsverbände mit den gleichen Privilegien für Religionsgemeinschaften wie die einstige evangelische Staatskirche. Als Stütze staatlicher Machtausübung werden sie dringend gebraucht, wo doch vor allem die katholische Kirche gerade kläglich versagt.

Säkularisierung ist kein Selbstläufer, auch nicht in Zeiten der Massenaustritte aus den Amtskirchen. Der bloße Verweis auf gesellschaftliche Mehrheiten jenseits der „Religiösen“ und den ihnen zugerechneten Karteileichen und Kulturreligiösen hilft nicht. So lange der Staat der Organisator und Wächter einer auf Marktwirtschaft und Privateigentum basierenden Gesellschaft ist, benötigt er verbundene Organisationen mit deren Hilfe er die freiwillige Unterordnung mittels Religion als Unterwerfungsideologie befördern kann.

Die tragenden Parteien werden das „Wort zum Sonntag“, den Religionsunterricht, die kirchlichen Privatschulen usw. verteidigen und sich bemühen dieses Berieselungsgeflecht um Orthodoxe Kirchen und Islamverbände zu ergänzen.