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Kirchenstatistiken blenden Veränderungen aus

Fundamentalisten stellen die Mehrheit der Religiösen in Bremen. Das „säkulare Jahrzehnt“ muss wohl noch warten

Die Statistiken weisen, insbesondere für die deutschen Großstädte, schnell sinkende Mitgliederzahlen der beiden Amtskirchen aus. Von Berlin mit 20 Prozent bis München mit ca. 40 Prozent reicht das Spektrum. Bundesweit sank die Amtskirchenquote schon 2021 unter 50 Prozent.

Dies ist jedoch nur die halbe Seite der Betrachtung. Mit der Zuwanderung haben sich neue Religionsgemeinschaften etabliert und die Religiosität der Menschen mit Migrationshintergrund ist deutlich höher als bei Menschen ohne Migrationshintergrund. Zudem sind den meisten Menschen die zahlreichen religiösen Sekten oder das Agieren der Orthodoxie und die Strukturen der muslimischen Gemeinden wenig bekannt. Am Beispiel Bremen erläutern wir die Verteilung der Religiösen. Für Bremen liegen neben den Statistiken der EKD, der deutschen Bischofskonferenz auch sehr genaue Zahlen des Statistischen Landesamtes vor.

Die beiden Amtskirchen haben Ende 2022 mit 154.000, evangelisch, und 48.800, katholisch. einen Anteil von 35,6% an der Gesamtbevölkerung von 569 000 Einwohnern der Stadt Bremen (ohne Bremerhaven). In Bremen haben 37% der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. In der evangelischen Kirche gibt es 3000 Mitglieder und in der katholischen Kirche etwa 21% also ca. 10.000 Personen ohne deutschen Pass. Personen mit Migrationshintergrund und deutschem Pass weist die Statik des Landesamtes zu den Kirchenmitgliedern nicht aus, deshalb liegt hier eine Ungenauigkeit vor, die jedoch die Tendenz nicht umkehrt.

Werden also die 63% der Bremer:innen ohne Migrationshintergrund ins Verhältnis gesetzt zu der nach Abzug der Nichtdeutschen ermittelten Gesamtzahl der Kirchenmitglieder ergibt sich noch eine Quote von knapp 50% der Personen ohne Migrationshintergrund die Mitglied einer der Amtskirchen sind. Zu den Mitgliedern von Religionsgemeinschaften ohne Migrationshintergrund zählen noch ein großer Teil der Evangelikalen, der Neuapostolischen Kirche und der christlichen Abteilung der Walldorfer usw.

Wenn der Anteil der religiös Gebundenen unter den Zugewanderten bei 60 bis 70% liegt, was Daten aus vielen Herkunftsländern nahelegen, dann übertrifft bei einer Nettozuwanderung (Zuzug aus dem Ausland) die nominellen Mitgliederverluste der Amtskirchen. Die bei den beiden Amtskirchen Ausgetretenen waren überwiegend Karteileichen, die eh schon mit ihrer Kirche innerlich gebrochen haben.

In vielen deutschen Großstädten ist der Islam zur zweitstärksten Religionsgemeinschaft geworden. Nach Aussagen der Senatskanzlei sollen etwa 50.000 Muslime in der Stadt Bremen leben, die islamischen Dachverbände sprechen von 60.000.

In der Stadt Bremen gibt es etwa 26 bis 30 Tausend Menschen die als religiös aktive, regelmäßige TeilnehmerInnen von Gottesdiensten gelten. Etwa die Hälfte dieser „Religiösen“ gehören zu islamischen Glaubensrichtungen. Es gibt 36 Moscheegemeinden mit offiziellem Charakter und zusätzlich etliche Gebetskreise und informelle Gruppen. Sie betreiben ca. 25 Koranschulen für Kinder und Jugendliche mit klassischer Geschlechtertrennung und überwiegend der Verschleierung der Mädchen. Bei mehr als der Hälfte dieser Moscheegemeinden kann eine undemokratische, vormoderne Ideologie mit frauenfeindlichem Charakter nachgewiesen werden.

Eine Moschee agiert offen als salafistisches Zentrum, drei weitere huldigen einem Urislam, eine gehört zum Spektrum der Deobandi, eine Moschee agiert auf der Koraninterpretation der Muslimbrüder, sechs weitere gehören zu Millî Görüş, der türkischen Variante der Muslimbrüder, fünf gehören dem aus Ankara gelenkten Verband DITIB an und zwei Moscheegemeinden der ATIB sind mit den faschistischen Grauen Wölfen verbunden. Ferner gibt es eine am Iran und deren Ajatollahs orientierte schiitische Moschee und die Sekte der Ahmadiya Muslim Jamaat.

In diesen islamistischen Moscheegemeinden gilt die Geschlechtertrennung, ein enormer Druck auf islamische Kleidung für Frauen, vor allem die Verpflichtung zum Tragen eines Kopftuchs. Kontakte mit Ungläubigen sind überwiegend nicht erwünscht.

Nur 20% der sich dem Islam zurechnenden Personen sind in den Trägervereinen der Moscheegemeinden organisiert. 30% gehen nie in die Moschee und die Mehrheit führt ein an säkularen Maßstäben orientiertes Leben.

Die Islamisten der großen Moscheeverbände stellen also nur eine Minderheit innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft dar. Allerdings kontrollieren sie die Strukturen der Dachverbände so auch den örtlichen Zusammenschluss, die Schura Bremen.

Die Taliban, die in Afghanistan das wohl zur Zeit rigideste Modell einer am Ur-Islam orientierten Gesellschaft mit Waffengewalt durchsetzen, haben auch Anhänger in Bremen. Sie sind nicht nur zum Freitagsgebet gern gesehen Glaubensbrüder in der Fatih Moschee Bremen.

Ferner existieren in Bremen etwa 3.000 aktive Evangelikale, weitere 5 bis 6 Tausend Anhänger:innen der Christengemeinschaft der Anthroposophen, Adventisten, Zeugen Jehovas, orthodoxen Jüd:innen, Warshippern, Mormonen, sieben Gemeinden Orthodoxer Nationalkirchen usw.

Die für Bremen dargestellten Zahlen basieren auf Angaben der EKD, der katholischen Bischofskonferenz, der Forschungseinrichtung FOWID und des statistischen Landesamtes Bremen. Mit Ausnahme des Islam gilt die Regel, je kleiner die Religionsgemeinschaft, desto größer der Grad des Aktivismus. Die geringste Aktivistenquote hat die evangelische Kirche. Nur ca. 2 bis 3% von den 154.000 formellen Mitgliedern gelten als Aktive Christen, dieser Anteil ist in Bremen durch die hohe Zahl von Evangelikalen innerhalb der Landeskirche erhöht. Die praktizierenden Christen der Amtskirchen sind überdurchschnittlich Alt, damit wird tendenziell ihre Zahl und der Anteil der evangelischen an den „Religiösen“ absehbar sehr deutlich schrumpfen.

Die Zahl der religiösen Aktivisten aus den staatlich nicht eng verflochtenen Religionsgemeinschaften ist sehr viel größer als die Schar der Gleichgesinnten in den staatlich alimentierten Amtskirchen. Die Aktiven der evangelischen und der katholischen Amtskirche machen nicht einmal ein Viertel aller aktiv Religiösen aus. Die evangelische Landeskirche organisiert in großem Umfang die Fusion von Kirchengemeinden um den Personal- und Strukturabbau schneller abwickeln zu können. Damit ist auch die Wirkung der „staatsfernen“ Religiösen in die Gesellschaft deutlich größer als die der verbeamteten Apparate der katholischen und evangelischen Kirche.

Die „Einbrüche“ bei Mitgliederzahlen und Aktiven bei evangelischer und katholischer Kirche in den letzten Jahren wurden weitgehend durch Zuwächse bei einigen staatsfernen zum Teil fundamentalistischen Religionsgemeinschaften ausgeglichen.

In der überwiegenden Zahl der „staatsfernen“ Religionsgemeinschaften findet eine zumeist wortgetreue Religionsauslegungen aus Bibel oder Koran statt. Fast allen ist die bedingungslose Unterwerfung unter die Dogmen der alten Bücher gemeinsam. Viele Religionsgemeinschaften gehen verstärkt in den öffentlichen Raum animieren Menschen aus ihren Reihen politisch und gesellschaftlich aktiv zu werden. Sie betreiben systematische Lobbyarbeit und unterstützen Glaubensbrüder auf der politischen Karriereleiter.

Dies ist eine weltweite Tendenz, in einigen Ländern mit verheerenden Folgen für demokratische Rechte, Frauen und Menschenrechte, religiöse, sprachliche Minderheiten und LGBTQ Personen.

In Deutschland gibt es verstärkte Bemühungen den Islam als „vierte Staatsreligion“ zu etablieren. Diese Bemühungen gehen von beiden Seiten aus. Der Staat möchte religiöse Organisationen an sich binden, um seine innere Stabilität zu erhöhen und die islamischen Gemeinschaften als ideologischen Apparat nutzen zu können. Gleichzeitig möchte der Staat den Einfluss externer Mächte die auf islamisch religiöse Verbände, wie der Türkei, zurückdrängen.

Das Foto zeigt Mädchen aus dem Korankurs der Fatih Moschee, Bremen (Millî Görüş) beim „Gröpelinger Sommer“, einem öffentlichen Stadtteilfest 2023. Alle haben sich „freiwillig“ für das Tragen des Kopftuchs entschieden.