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Das Bremer Wahlrecht nutzt fundamentalistisch religiösen Gruppen

Unlängst hat die Fraktionsvorsitzende der Bremer Grünen, Henrike Müller, eine Änderung des Bremer Wahlrechts eingefordert. Begründet hat sie diesen Vorstoß mit der personellen Zusammensetzung der Bürgerschaftsfraktionen nach der letzten Wahl im Mai. Durch das Personenwahlrecht waren die von den Parteien aufgestellten Listen zum Teil erheblich verändert worden und deutlich mehr Männer als Frauen, sowie in einigen Parteien auch mehr Menschen mit Migrationshintergrund durch das WählerInnen Votum in die Bürgerschaft gewählt worden.

Diese Beobachtung ist zunächst richtig. Es lohnt sich jedoch genau hinzuschauen, denn es sind nicht einfach die Männer oder Personen aus großen ZuwanderInnengruppen, die gewonnen haben.

Auf den SPD und CDU Listen kandidierte zahlreiche Personen mit am Namen erkennbarem Migrationshintergrund. Diese weisen zum Teil sehr unterschiedliche Wahlergebnisse auf. Der Rückschluss, das Menschen einer Sprachgruppe bzw. einem Herkunftsland der Großeltern oder Eltern, dann auch nur Personen aus dieser Gruppe wählen, ist nicht haltbar. Die Herkunft oder das Geschlecht sind nicht die wahlentscheidenden Ursachen gewesen.

Gewählt wurden Aktivisten oder UnterstützerInnen aus homogenen ideologischen, hauptsächlich religiösen Gruppen. Nicht gewählt wurden EinzelkämpferInnen, die „nur“ in der Partei aktiv sind.

Auf der SPD Liste schafften es drei konservative Muslime mit Personenstimmen um die türkisch nationalistische Religionsgemeinschaft Milli Görüs und die Schura Bremen den Sprung ins Parlament. Auch auf der CDU Liste zog ein Kandidat mit Unterstützung des konservativen islamistischen Spektrums aus DITIB und ATIB Moscheen und der UID, dem verlängerten Arm der türkischen AKP ins Parlament ein. Da die konservativen Islamverbände ein patriarchales Männerding sind, wurden entsprechend nur Männer aus diesem Spektrum unterstützt.

Aber nicht nur Muslimische Strömungen schafften es, ihre Leute ins Parlament zu wählen. Die Bremer Evangelikalen schafften es über viele Jahre drei der „Ihren“ auf verschiedenen Parteilisten mit Mobilisierung in den Gemeinden und Gebetskreisen in die Bürgerschaft zu wählen. Bei etwa 3000 aktiven regelmäßig betenden Evangelikalen, die gerade einmal 0,5 Prozent der Bevölkerung Bremens ausmachen, drei Personen in die Bürgerschaft (4,3 Prozent der Abgeordneten) zu bringen, die sich dort für die Förderungen der religiösen Schulen einsetzen, ist beachtlich. Seit 2023 sind es nur noch zwei, da eine Abgeordnete nicht mehr antrat. Hätten sie auf der Liste der „Bibeltreuen Christen“, einer den Evangelikalen seelenverwandten Partei, kandidiert, hätten sie nicht einmal ein Prozent erhalten.

Bei der Bremer SPD hat diese Verbindung mit religiösen Gruppen zumindest arithmetisch funktioniert. Evangelikale (1 Abgeordneter) wurden genauso angesprochen wie Aleviten (2 Abgeordnete) und die konservativ muslimische Religionsgemeinschaft um die Schura Bremen und Milli Görüs (3 Abgeordnete). Von den 23 SPD Abgeordneten in Bremen Stadt wurden immerhin 5 durch die Unterstützung durch religiöse Gruppen gewählt, die damit auch der Gesamtpartei zu Gute kamen.

Die 4 gewählten Kandidaten des konservativ religiösen islamischen Blocks in SPD und CDU erhielten zusammen 12 800 Einzelstimmen. Als Partei des „aufrechten Islam“ wären sie mit ca. 1,2 Prozent nicht in der Bürgerschaft, denn um die 5 Prozent Hürde zu überspringen bedürfte es ca. 55 000 Stimmen. Ein Teil dieser Abgeordneten gilt auch als Anhänger des autoritären Regimes um Erdogan in der Türkei.

Die Strategie der fundamentalistisch religiösen Gruppen, den Weg über die großen Parteien zu gehen, um in Parlamente einziehen zu können, geht auf. Dies sind nicht nur konservative Muslime und Evangelikale, auch Yesiden und Aleviten wurden von ihren Gemeinden und Medien angehalten die „Ihren“ zu wählen, was auch bei vier Personen erfolgreich war. Der Marsch durch die Institutionen, um sich politischen Einfluss zu sichern, ist zu einem erprobten Mittel religiöser Gruppen geworden. Es reichen ca. 600 bis 700 Personen aus einer verfestigten religiösen Gemeinschaft, um zwei KandidatInnen in die Bürgerschaft zu befördern.

Durch das Wahlsystem mit 5 Personenstimmen sind 7 „Religiöse“ in die Bürgerschaft eingezogen, die keinen aussichtsreichen Platz auf den Parteienlisten hatten.

Daneben gibt es weitere, sehr eng mit Kirchen agierende Personen in der Bürgerschaft, zwei CDU Abgeordnete gehören zu den Sprechern des „Evangelischen Arbeitskreises“ in der CDU und SPD Abgeordnete, die hauptberuflich zentrale Funktionen bei der Inneren Mission ausfüllen oder Abgeordnete, die in Kirchenvorständen von zumeist evangelischen Kirchengemeinden tätig waren oder sind.

Alle religiösen Aktiven zusammen, die regelmäßig in ihre Gotteshäuser gehen und an Prozessionen teilnehmen machen in Bremen etwa 30 000 Personen aus, das sind zwischen 5 und 6 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Im Bremer Stadtparlament (ohne Bremerhaven) sitzen dort mindestens 16 Religiöse, bzw. Personen die von religiösen Gruppen bei der Wahl unterstützt wurden oder mit diesen Religionsgemeinschaften regelmäßige Kontakte zum gegenseitigen Vorteil unterhalten. . Dies sind immerhin 23 Prozent der Abgeordneten, mehr als das Dreifache ihres Anteils an der Gesamtbevölkerung in Bremen.

Das 5 Stimmen Personenwahlrecht war ursprünglich als Möglichkeit gedacht, den BürgerInnen zu mehr Wahlmacht gegenüber den Parteien zu verhelfen.

Die Parteien befinden nach wie vor, wer überhaupt auf die Wahllisten aufgenommen wird und ideologisch / religiöse Gruppen „wählen“ ihre KandidatInnen durch Mobilisierung in den eigenen Reihen nach oben. Die individuell denkende und handelnde mündige BürgerInn hat mit dem 5 Stimmen Wahlrecht sogar noch weniger Einflussmöglichkeiten, denn die KandidatInnen der religiösen Fundamentalisten sind auf dem Stimmzettel nicht als solche erkennbar.

Allerdings benötigen die religiösen Gruppen für das Funktionieren des Marsches durch die Institutionen auch Personen in den Parteien, die gezielt mit der Aufstellung von KandidatInnen aus ideologischen / religiösen Gruppen auf unteren Listenplätzen, deren Umfeld und deren Stimmenpotential an die Partei binden wollen.

Dieses „Geschäft“ zwischen einigen Parteien und religiösen Gruppen funktioniert nicht allein auf der Ebene der Sicherung von Wahlprozenten und der damit verbundenen Vergabe von Posten. Das Tauschgeschäft funktioniert nur wenn die den Staat verwaltende Partei, in Bremen überwiegend die SPD, diesen Religionsgemeinschaften Zugeständnisse macht.

Religiöse Kindergärten und Schulen, öffentliche Aufwertung der Religionsgemeinschaften bis hin zu finanziellen Zuwendungen aus allgemeinen Haushaltsmitteln stehen auf dem Wunschzettel der „Religiösen“. Diese Wünsche werden seit Jahren bedient.

Insbesondere in der SPD dürften damit Konflikte vorprogrammiert sein. Das Weltbild vieler fundamentalistischen „Religiösen“ AbgeordnetInnen in der SPD, passt überhaupt nicht zu vielen Programmatischen Aussagen der Partei. Mit Wahl Arithmetik und Posten können solche weltanschaulichen Gräben nicht dauerhaft überdeckt werden.