Das deutsche Modell der Verflechtung und Kooperation von Volkskirchen und Staat gerät ins Wanken. Nicht weil die Säkularen die Trennung von Kirche und Staat erkämpft hatten. Nein; schlicht deshalb, weil die evangelische und die katholische Kirche in einen Zerfallsprozess eingetreten sind. Sie müssen auf der Intensivstation behandelt vom Staat und seinem Personal mittels öffentlichem Zuspruch, rechtlicher und finanzieller Infusion aufgepäppelt werden.
Auf dem Kirchentag in Nürnberg wurden noch 70 000 Karten verkauft, gegenüber dem letzten Kirchentag vor Corona in Dortmund mit 121 000 Karten ist dies ein erheblicher Einbruch. Im Jahre 2022 traten knapp über 800 000 Menschen aus den beiden Großkirchen aus, insgesamt, einschließlich des Defizits aus Taufen und Sterbefällen beliefen sich die Mitgliederverluste auf ca. 1,3 Millionen Menschen.
Auf dem Kirchentag ist einerseits die Infusion des Staates zu Gunsten der evangelischen Kirche aber auch die Absicht Verfestigung der Symbiose von Kirche und Staat deutlich geworden.
Neben den 10 Millionen Euro, die der Staat zur Kirchentagsfinanzierung zugeschossen hat, gab es im Vergleich zur bisherige Praxis ein ungewöhnlich großes Aufgebot an politischem Personal aus den ersten Reihen. Steinmeier, Scholz, Baerbock, Habeck, Merz und viele andere hatten ihre Auftritte. Sie kamen nicht spontan zum „Klönschnack“ vorbei. Ihre Anwesenheit war geplant und organisiert. Sie brachten zwei zentrale Themen mit, für die sie in der Bevölkerung Gefolgschaft und aktive Unterstützung brauchen; Waffenlieferungen an die Ukraine und die Aufrüstung im Zeichen der „Zeitenwende“ und die kurz vor dem Kirchentag erfolgte faktische Aushebelung des Asylrechts durch die EU Beschlüsse zu Lagern an den EU-Außengrenzen.
Für diese Themen spielen scheinbar unabhängige Instanzen wie die Kirchen, denen immer noch viele Menschen eine moralische und ethische Bewertungskompetenz zuweisen eine große Rolle. Wenn die Kirchen ja zu Aufrüstung und EU Außenlagern sagen, gewinnt dies eine höhere Zustimmung in der Bevölkerung.
Wenn Steinmeier schon im Eröffnungsgottesdienst zu Wort kommt und eine „Bibeleinheit“ zelebriert signalisiert dies Verbundenheit und Entgegenkommen. Er predigte, dass es jetzt „die Zeit für Waffen“ sei. Auf diesem Kirchentag war auch ungewöhnlich viel Militär anwesend. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, ranghöchster Deutscher Soldat, bekam eine Bühne zur Begründung der Unterstützung der Ukraine. Frau Baerbock und Ex Bundespräsident Gauck beschworen ihre Unterstützung für Selenski.
Die Ikone des evangelischen Pazifismus, Ex. EKD Präsidentin Margot Käßmann, wollte zu ihren pazifistischen Positionen sprechen. Die Veranstaltung wurde von der Kirchenleitung, ganz auf Regierungslinie, gestrichen. Da ist Käßmann dann lieber zu Hause geblieben.
Kirchenleitung und Staat, Vertreten durch das Leitungspersonal aus Kanzleramt und Bundespräsidentenpalast zelebrierten mit dem Kirchentag eine Einheit. Hier liegt der Sinn und Zwecke der Symbiose von Kirche und Staat. Insgesamt hält der Staat seinen beiden ideologische eng verbundenen Volkskirchen mit ca. 25 Milliarden Euro aus, treibt ihnen den Nachwuchs durch den Religionsunterricht in den staatlichen Schulen in die Arme und finanziert die oft fundamentalistisch ausgerichteten christlichen Privatschulen.
Auch CDU Granden, wie Karl Josef Laumann, NRW Minister für Arbeit und Soziales, sind ob des Zerfalls der beiden deutschen Amtskirchen verzweifelt. Bricht doch mit den Kirchen ein wichtiges Instrument der Beeinflussung von Menschen durch den Staat und seine herrschenden gesellschaftlichen Schichten (früher Klassen genannt) weg.
Laumann ließ „domradio.de gegenüber wissen, dass er sehr dankbar sei, „dass die evangelische und die katholische Kirche die mit Abstand größten Kindergartenträger Nordrhein Westfalens sind“.
Christlicher Glaube basiert auf der Unterwerfung unter die Weisheiten der Bibel. Menschen die schon von früher Kindheit in Kindergarten und Schule christliche Unterwerfung erlernt haben, sind tendenziell die „besseren“ Staatsbürger, da auch dem „guten“ Staatsbürger die Akzeptanz von Obrigkeit und Befolgung der Anweisungen der Staatslenker, abverlangt wird.
Christen dürfen laut Laumann nicht sagen „Glauben ist Privatsache“. Es wird von den Christenmenschen öffentliches Engagement gefordert, das sich nicht auf das „Private“ beschränkt. Laumann möchte christlich konservatives Denken im politischen Raum. Bayerns Regierungschef Söder forderte auf dem Kirchentag ebenfalls eine „stärkere (Kirchen) Präsenz im öffentlichen Raum“.
So wird die Sorge des Staatspersonals und Rechtskonservativen verständlich, schrumpfende Kirchen reduzieren die Möglichkeit der Verankerung ihre Politik. Der Kirchentag war ein Anschauungsbeispiel der staatlich/ kirchlichen Symbiose. Und es ist der Staat, der Wächter des Funktionierens der Marktwirtschaft, der Religionsgemeinschaften braucht wie auch die Polizei, Universitäten oder Gerichte.
Das „säkulare Jahrzehnt“ bricht nicht durch die Austritte aus den Kirchen oder den Verweis auf Paragraphen in Gesetzbüchern an, es muss gegen den Staat errungen werden.