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Säkularisierung ist keine Einbahnstraße

Konservative Wende führt zu mehr Religionsunterricht

In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und SPD in Berlin für die Bildung eines neuen Senats zeichnet sich eine Wiedereinführung des Religionsunterrichts als Wahlpflichtfach ab der 7. Klasse an den allgemeinbildenden Schulen ab. Dies wurde, wenn auch noch schwammig, im Koalitionsvertrag festgehalten. Die Kirchen bis zu den evangelikalen Medien, pro und idea sind voller Begeisterung. Schließlich wissen sie um die elementare Rolle des Religionsunterrichts bei der Gewinnung neuer Kirchenmitglieder und der Stabilisierung des Bestandes.

Religion ist bisher in Berlin ein freiwilliges Unterrichtsfach in der Grundschule, das von den Religionsgemeinschaften mit „ihrem“ Personal angeboten wird. Die Zahl der teilnehmenden Schüler*innen für katholische und evangelische Religion ist rapide gesunken.

Da Berlin bislang kaum über staatlich ausgebildete Lehrer*innen mit dem Fach Religion verfügt, ist davon auszugehen, dass die jetzt von den Religionsgemeinschaften gestellten Lehrkräfte für den bisher freiwilligen Religionsunterricht, bei dem verpflichtenden Fach zum Einsatz kommen werden. Da die Religionsgemeinschaften die „Inhalte gestalten“ (so der Koalitionsvertrag) ist auch nicht von religionskritischen Betrachtungen auszugehen.

Diese Absicht steht ganz offensichtlich im Widerspruch zu dem Ergebnis des Volksentscheids von 2009, in dem mit Mehrheit die Wiedereinführung des Religionsunterrichts abgelehnt wurde. Nur 14 Prozent der Berliner*innen sprachen sich für den Religionsunterricht aus. SPD und CDU scheinen es bei der Umsetzung von Volksentscheiden nicht so genau zu nehmen, sonst wäre ja auch der Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen bereits vereinbart bzw. in der alten Koalition per Gesetz auf den Weg gebracht worden. Ebenso wenig dürfte die von CDU und SPD beabsichtigte Teilbebauung des Flugplatzes Tempelhof stattfinden. Finanzstarke Interessengruppen, wie die Kirchen mit ihren Wohlfahrtsverbänden und die Wohnungsunternehmen, scheinen bei SPD und CDU größeres Gewicht zu haben als die Ergebnisse von Volksentscheiden. Demokratie scheint in Berlin nicht von der Wahlurne auszugehen, Entscheidungen werden im Interesse wirtschafts-mächtiger Gruppen und Unternehmen gefällt.

Dabei ist Berlin die „Hauptstadt“ der Religionsfreien. Ende 2021 waren nur noch 13,8 Prozent der Menschen in Berlin Mitglied der evangelischen Kirche, schmale 8 Prozent waren bei den Katholiken organisiert und ca. 6 bis 7 Prozent rechnen sich dem muslimischen Glauben zu. Hier sind die Rekordzahlen der Kirchenaustritte im Jahre 2022 noch nicht berücksichtigt, ebenso wenig die Tatsache, dass über 90 Prozent der gelisteten Mitglieder der großen Amtskirchen Karteileichen sind.

Ganz offensichtlich gibt es in Berlin einen von SPD und CDU getragenen Versuch, über den Staat den Einfluss der Religionsgemeinschaften zu stabilisieren bzw. auszubauen. Es fehlt nur noch der Versuch, die reaktionären Strömungen der islamischen Verbände vom ZMD, Milli Görüs oder DITIB einzubeziehen und auch ihnen den Zugang zu den Klassenzimmern zu ebnen.

Offensichtlich führen Massenaustritte aus den beiden großen Amtskirchen nicht zwangsläufig zur Reduzierung ihrer Rolle in der Gesellschaft. Der Staat selbst scheint ein vehementes Interesse an der Stabilisierung eines konservativ hierarchischen Weltbildes, welches auch die Religionsgemein-schaften prägt, zu haben. Die von der SPD vollzogene Wende zu einer ultrakonservativen CDU in Berlin ist ein Rechtsruck in der Berliner Politik und dementsprechend braucht es dazu einer inhaltlichen Gestaltung. Im Ergebnis wird sich die Zahl der Teilnehmenden am Religionsunterricht, da Pflichtfach, massiv erhöhen. Es ist auch gleichzeitig eine enorme indirekte finanzielle Subvention der religiösen Missionierungsbemühungen. Zudem verspricht die Koalitionsvereinbarung die Erhöhung der Förderung für private Schulen. Auch in Berlin lässt sich „Privatschule“ weitgehend in „religiöse Schule“ übersetzen. 63 Privatschulen befinden sich in der Verwaltung von Kirchen und religiösen Einrichtungen, die insgesamt ca. zwei Drittel der Schulplätze der Berliner Privatschulen betreiben.

Passage aus dem Entwurf zur Koalitionsvereinbarung, Seite 42

Die Koalition strebt die Einführung eines Wahlpflichtfachs Weltanschauungen/Religionen als ordentliches Lehrfach an. In einem von fachlich ausgebildeten Lehrkräften erbrachten und von den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften inhaltlich gestalteten Unterricht können Kenntnisse über Religionen und Weltanschauungen vermittelt werden. Das Fach Ethik bleibt in seiner bisherigen Form bestehen.“