Evangelische Kirche mit vorbestraftem Pastor in der Zwickmühle
Olaf Latzel, der evangelikale Pastor der bremer Martinikirche wurde am 25. November vom Bremer Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 8100 Euro wegen Volksverhetzung verurteilt. In einem „Eheseminar“ hat er Homosexuelle als Verbrecher bezeichnet und der Mitschnitt seines Vortrages wurde auf Youtube ins Netz gestellt. Es gab eine Anzeige, öffentliche Aktionen und letztlich sah sich die Bremer Staatsanwaltschaft genötigt ein Strafverfahren zu Eröffnen.
Am 20 und 25. November wurde vor dem Bremer Amtsgericht verhandelt. Die Anwälte von Latzel plädierten auf unschuldig.
Latzel war schon in der Vergangenheit als bibeltreuer Prediger aufgefallen. Mal ließ er eine Pastorin in seiner Kirche nicht auf die Kanzel, da Frauen nach seiner Bibelinterpretation nicht predigen sollen, mal schimpfte er auf andere Religionen. Aus seiner Sicht und da ist er mit der Mehrheit der evangelischen Christen, den Evangelikalen einig; praktizierte Homosexualität ist eine Sünde und ein Platz im Himmel nur über den Glauben an Jesus erreichbar. Un-, und Andersgläubige landen in der Hölle. So steht es in der Bibel, die für die Evangelikalen in ihrer wörtlichen Auslegung das Maß aller Dinge ist.
Die Geldstrafe von 8100 Euro wird Olaf Latzel nicht zum armen Mann machen. Als Kirchenbeamter hat er ausreichend Einkommen und seine Fangemeinde wird sicherlich reichlich spenden. Seine Martinigemeinde steht schließlich fest zu ihrem Pastor und trägt schon jetzt aus Spenden ein Viertel seiner Stelle.
Wie diese evangelikale Kirchengemeinde und auch ein Großteil der anderen sieben evangelikalen in Bremen ticken machen die folgenden Ausführungen von Jürgen Fischer, dem Vorsitzenden der Martinigemeinde, erschienen im Gemeindebrief Nr. 130 von September 2020 deutlich:
„Bis heute ist der christliche Glaube Angriffen ausgesetzt durch heidnische Religionen, antichristliche Ideologien oder eines sich ausbreitenden Atheismus in Kirche und Gesellschaft. Eine große Irrlehre unserer Zeit kommt im Gewand des sogenannten „Gender Mainstreaming“ daher, deren Protagonisten uns weismachen wollen, dass es nicht nur zwei, sondern mindestens 4000 verschiedene Geschlechter gibt. Gender Mainstreaming ist eine unbiblische Ideologie, ein gewaltiges Umerziehungsprogramm, ein Angriff auf Gottes Schöpfungswirklichkeit und damit ein Generalangriff auf Gott, den Schöpfer, selbst. „….
Als bekennende Gemeinde ist es unser Auftrag, dem herrschenden Zeitgeist zu widersprechen und der Welt die unverrückbare Wahrheit des Wortes Gottes entgegenzuhalten, auch wenn wir dafür angegriffen und verleumdet werden. Und es ist unsere Aufgabe, den Menschen die biblische Lehre von der Verdammnis des unerlösten Sünders und seiner Errettung allein durch Gnade, allein durch Christus, zu verkündigen (Joh. 14,6; 17,17). In dieser Verpflichtung stehen wir als Gemeindeleitung zusammen mit unserem Pastor.
Dieser geistliche Kampf ist uns auferlegt. Wir führen ihn im Vertrauen auf Gottes Hilfe und in dem Wissen, dass Sie als Gemeinde betend hinter uns stehen. [jf]“
Das Problem liegt jetzt bei der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) . Die Kirchenleitung und 11 Gemeinden und ca. 40 PastorInnen hatten sich Anfang 2020 in einem Aufruf deutlich von Latzel distanziert. Es wurde sogar ein Disziplinarverfahren eingeleitet, welches für die Dauer des staatlichen Gerichtsverfahrens ruhte.
Würde die BEK Leitung ihre distanzierenden Worte ernst nehmen, müsste sie Olaf Latzel jetzt, nach der strafrechtlichen Verurteilung von der Kanzel holen, an einen staubigen Schreibtisch setzen oder sonstwie aus der öffentlichen Wahrnehmung entfernen oder sogar entlassen. Wie so etwas geht, da haben die Kirchen je reichlich Erfahrung, wenn es um die lautlose Umsetzung von Geistlichen mit Mißbrauchsvorwürfen geht.
Es gibt für die BEK Leitung jedoch Probleme bei der Entfernung von Olaf Latzel aus dem Dienst. Da ist zum einen die jetzige Kirchenverfassung der BEK, die den Gemeinden die interne „Glaubensfreiheit“ und ein entscheidendes Rechts bei der Besetzung von Stellen zugesteht. Letztlich ist Latzel jedoch mit Dreiviertel seiner Stelle bei der Landeskirche angestellt. Somit käme die Entlassung arbeitsrechtlich durchaus in Betracht, schließlich handelt es sich nicht um einen Hausmeister der den Wein aus dem Messkelch geklaut hat.
Das wahrscheinlich viel größere Problem sind die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der BEK. Das jetzige Machtgefüge innerhalb der BEK und der Kirchenleitung könnte durch eine Maßregelung von Olaf Latzel zerbrechen. Die jetzige BEK Leitung wird getragen von einem Bündnis aus den Gemeinden der „besseren“ Stadtviertel, angeführt von der Domgemeinde, in denen Menschen mit hohem Einkommen, vor allem aus der „ehrwürdigen Bremer Kaufmannschaft“ wohnen und kirchlich engagiert sind und den acht Evangelikalen Gemeinden innerhalb der BEK.
Bremen ist eine Hochburg der Evangelikalen, sowohl innerhalb der evangelischen Amtskirche als auch gemessen an der Zahl der evangelikalen Freikirchen, den von diesen zum Teil gemeinsam betriebenen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen oder Wohlfahtseinrichtungen. Innerhalb der BEK haben die Evangelikalen ein großes Gewicht. In Bremen Stadt gibt es 60 evangelische Kirchengemeinden. Davon gehören acht zur Evangelischen Allianz, dem Dachverband der Evangelikalen. Zusätzlich gibt es innerhalb der BEK zwei „Landeskirchliche Gemeinschaften“ und etliche Zuwandergruppen, die ebenfalls dem Evangelikalen Spektrum zuzuordnen sind. Verglichen mit traditionell evangelisch geprägten Großstädten wie Hamburg, Berlin oder Hannover weist Bremen in absoluten Zahlen mehr evangelikalen Gemeinden innerhalb einer Landeskirche aus, selbst als die drei mal so große Stadt Hamburg oder das fünf mal so bevölkerungsreiche Berlin. Innerhalb des Kirchenparlaments stellen die Evangelikalen etwa 15 Prozent der Delegierten. In Bremen ist die größte evangelikale Schule und das größte evangelikale Sozialwerk Deutschlands angesiedelt. Die Hälfte der sonntäglichen GottesdienstbesucherInnen lauschen in den evangelikalen Gemeinden. In vielen andere „normalen“ Gemeinden kommen neben Grauhaarigen noch einige Konfirmandinnen.
Je eine Abgeordnete der SPD, der FDP und der CDU im Bremischen Landesparlament sind engagierte Evangelikale. (ebenso zwei AnhängerInnen des politischen Islam)
Wie andere Großstädte auch weist Bremen eine erhebliche soziale Spaltung auf. Es gibt eine Reihe von Stadtteilen, die neben einem hohen Durchschnittseinkommen auch eine überdurchschnittlichen kirchlichen Organisationsgrad aufweisen. Hier tummeln sich christliche Personen aus hohen staatlichen Behörden zusammen mit dem alteingesessenen Bildungsbürgertum und Klein-, bis zu Großunternehmern in den Kirchenvorständen, Bauherrengremien und Diakonien der Innenstadtkirchen. In der Domgemeinde, der größten Kirchengemeinde Bremens kommen die feinen Leute aus der ganzen Stadt zusammen, denn in Bremen kann Mensch sich seine/ihre Lieblingskirche aussuchen. Die Domgemeinde stellt in der Landeskirche die Vorsitzende und den Schatzmeister, immerhin zwei von vier direkt gewählten Posten in der Kirchenleitung. Diakonie und Kirchenvorstand der Domgemeinde spiegeln das Who is Who der reichsten Bremer Familien, altem deutschen Adel und solchen, die unbedingt dazu gehören wollen.
In den Kirchengemeinden am Stadtrand und den alten „Arbeitervierteln“ wird bei Personal und Sachmitteln gespart, Gemeinden fusioniert, Konfirmandengruppen von mehreren Gemeinden zusammengelegt und in den Gemeindeblättern ist die Liste der Verstorbenen um ein Vielfaches Länger als die der Getauften.
Viele normale Kirchengemeinden des Stadtrandes sind im Kirchenvorstand und ständigen Kirchenausschüssen nicht mehr vertreten. Viele dieser Gemeinden bekommen kaum noch die notwendige Zahl von Personen zusammen, die sich in Kirchenvorstände wählen lassen. Die „normalen“ Menschen sind weg, es bleiben die „Alten“ und die Bibeltreuen.
Hier liegen auch die Gemeinden der Evangelikalen, die dank eigener Mittel relativ stabil agieren. Viele Bibeltreue sind in diese Gemeinden gewechselt und sie haben Mittel für zusätzliches Personal. Auch dies begründet den Zuwachs des Einflusses der Evangelikalen.
Historie des Wandels
Über Jahrzehnte galt die bremische Evangelische Kirche als Hort der linksliberalen Pastorenschaft. Bremer BEK Pastoren fanden sich auf Anti AKW Demos und halfen Straßen gegen Raketen-, und Truppentransporte zu blockieren. Viele marschierte am 1. Mai mit dem DGB durch die Stadt und tranken anschließend bei den kommunistischen Maitänzen an reservierten Tischen ihr Bierchen. Zwei aus diesem Spektrum schaffte es auch an die Theologische Spitze der Landeskirche, auf den Posten des „Schriftführers“. Spätestens mit der Wahl einer neuen Kirchenleitung 2013 war es jedoch vorbei mit der „linken“ Dominanz. Edda Bosse, geborene Lammotte, (Vater ex. Chef der Industrie und Handelskammer, Bruder Aufsichtsratsvorsitzender der Sparkasse Bremen aus einem Handelsunternehmensgruppe mit 600 Beschäftigten/ Familienvermögen ca. 300 Millionen Euro) aus der Domgemeinde wurde Vorsitzende der BEK. Im Sommer darauf wurde Johannes Müller aus der evangelikalen Matthäus Kirche mit der Leitung der zentralen Missionseinrichtung der Landeskirche – Lighthouse – beauftragt. Er war der örtliche Organisationsleiter des Christival 2008, das in die Presse geriet, weil hier Konversionsseminare gegen Homosexualität angeboten werden sollten. Lighthouse ist neben einem missionarischen Angebot für Bremer Schulen (Klassentage) in Gebäuden der Martinikirche von Olaf Latzel angesiedelt. Johannes Müller schreibt regelmäßig für den Gemeindebrief der Martinigemeinde und darf gelegentlich als Latzels Urlaubsvertretung auf die Kanzel. Außerdem gehört Johannes Müller zur Leitung der Evangelikalen in Bremen.
Etliche Evangelikale sind vom Kirchentag in zentrale ständig tagende Ausschüsse gewählt worden. Zahlreiche weitere Personal-, und Finanzentscheidungen der Bremer Kirchenleitung lassen den Schluss zu, das seit 2013 in der BEK eine faktisches Bündnis aus den Kirchengemeinden der „feinen Leute“ und den Evangelikalen besteht. Dabei mag sicherlich eine Rolle gespielt haben, dass viele den Evangelikalen zugetraut haben, den Mitgliederschwund der Kirche zu stoppen und intern wieder Schwung in den Laden zu bringen. Das hat bis heute nicht geklappt, die BEK weist bundesweit die höchsten Austrittsquoten aller Landeskirchen auf.
Dieses Bündnis der „Feinen“ mit den Evangelikalen würde bei einem Rauswurf von Olaf Latzel auf eine harte Probe gestellt. Immerhin sind Olaf Latzel und die anderen Evangelikalen in der BEK bei der Verurteilung von Homosexualität, bei Abtreibungsverbot und der wortgetreuen Bibelauslegung einer Meinung. Er ist einer von ihnen. Auch wenn er sich oft im Ton vergreift, die Evangelikalen werden ihn unterstützen.
Ohne die Evangelikalen kann die jetzige BEK Leitung so nicht weitermachen. Die Beobachter dürften gespannt sein, welchen geschickten Ausweg die Leitung findet. Sie muss Handeln, denn schon jetzt sind die Predigten von Olaf Latzel für viele Kirchenmitglieder in Bremen ein Austrittsgrund und Schaden dem Image der evangelischen Kirche. Lange hat die BEK an neuen Image einer weltoffenen, bunten und liberalen Einrichtung gefeilt. Predigt Latzel weiter, vergrößert diese Entscheidung die Trennung der evangelischen Kirche von der Gesellschaft. Fliegt Latzel raus, könnte die Hälfte der jetzigen Kirchgänger vergrätzt werden. Die BEK Leitung weiß schließlich auch das die Hälfte der rund 5000 regelmäßigen KirchgängerInnen in Bremen, den Worten der bibeltreuen Märchenonkel lauschen und für viele von ihnen gelten die Kirchenoberen eh schon als Ungläubige (siehe Gemeindebrief am Anfang des Textes.
Weniger als ein Prozent der BremerInnen zählen noch zu den regelmäßigen Kirchgängern in evangelischen Gemeinden. Die Glaubenskämpfe innerhalb der BEK sind Ausdruck der Krise dieses absterbenden Relikts aus dem Mittelalter.
Es ist allerdings ein Unding, dass diese Einrichtung noch die Lehrpläne für den Bremer Religionsunterricht schreibt, Kindergärten und eigene religiöse Schulen betreibt, die aus allgemeinen Steuermitteln finanziert werden.