Alle reden über den Wahlsieg der SPD. Die eigentlichen Wahlsieger sind die Abgeordneten, die ihren Sitz in der Bremischen Bürgerschaft der Unterstützung von Religionsgemeinschaften zu verdanken haben. Immerhin zwei Evangelikale und vier von islamistischen Religionsgemeinschaften unterstützte Abgeordnete gehören ab Mai 2023 der Bürgerschaft, dem Bremer Landesparlament, an.
Diese Steigerung der Zahl der „Religiösen“ ist vor allem den Besonderheiten des Bremer Wahlrechts zu verdanken. Es gibt anders als in den bundesdeutschen Flächenländern keine Wahlkreise, in denen Personen als Direktkandidat*in gewählt werden. Jede*r Wahlberechtigte verfügt über fünf Stimmen, die beliebig auf die Parteien als Ganzes oder aber für einzelne Kandidat*innen (Personenstimmen) auf den Listen vergeben werden können. Durch dieses Wahlverfahren wird die Veränderung der von den Parteien vorgeschlagenen Reihenfolge auf den Listen möglich. Kandidat*innen können also auf hinteren Plätzen einer Parteiliste stehen und mit einer großen Zahl von „Personenstimmen“ auf einen der vorderen Plätze vorrücken. Selbst wenn die Partei nur 30 Abgeordnetenplätze bei der Wahl gewinnt, kann somit ein Abgeordnetenmandat auch von Platz 49 aus errungen werden. Mit einer ideologisch verschworenen Gemeinschaft im Rücken reicht für den Einzug ins Landesparlament auch ein Listenplatz ganz unten.
Die Berücksichtigung von Kandidat*innen aus weitgehend homogenen ideologisch religiös oder sprachlich geprägten Gruppen ist für beide Seiten eine win-win Situation. Eine große Gruppe kann für die Partei gewonnen werden und im Gegenzug erhält diese Gruppe Zugang zu staatlichen Ressourcen und öffentlicher Anerkennung.
Von dieser Möglichkeit, die religiös politischen Interessen über Einzelkandidat*innen durchzusetzen, wurde schon in den vergangenen Jahren Gebrauch gemacht. Besonderes Ziel dieser Bemühungen ist die SPD, die seit 1945 ununterbrochen den Bürgermeister stellt und damit auch über den größten Zugriff auf Ressourcen und Entscheidungsmacht verfügt. Hier tummeln sich Evangelikale, Islamisten und Aleviten in trauter Eintracht mit dem in Bremen üblichen Verflechtungspersonal aus Staat, SPD und evangelischer Landeskirche.
Elombo Boyalela kandidiert regelmäßig auf einem hinteren Listenplatz bei der SPD, gehört einer evangelikalen Kirchengemeinde innerhalb der evangelischen Landeskirche an und rückte immer auf einen der vorderen Plätze vor. Aktuell auf Platz 3. Innerhalb der evangelikalen Bewegung wurde kräftig für christliche Kandidaten geworben.
Die eigentlichen Wahlsieger bei der Wahl 2023 sind jedoch die von islamistischen Religions-gemeinschaften unterstützen Kandidaten. Nurtekin Tepe startete auf Platz 49 bei der SPD – bei reiner Listenwahl ein aussichtsloser Platz. Nach Auszählung der Personenstimmen ist er erster Nachrücker und nach der Wahl der SPD-Senator*innen dann auch Abgeordneter. Er ist das Aushängeschild der Hemelinger Moschee von Millî Görüş und gehörte mehrere Jahre dem Vorstand der Bremer Schura an.
Mustafa Güngür war bereits Fraktionsvorsitzender der SPD. Er verbrachte seine Jugend in der Millî Görüş Moschee in Hemelingen, sein Vater war dort jahrelang Vorsitzender des Trägervereins.
Ebenso auf dem Ticket der Unterstützung durch Islamisten dürfte auch Basem Khan in die Bürgerschaft eingezogen sein. Gestartet vom aussichtslosen Listenplatz 37 bei der SPD schaffte er es über Personenstimmen auf Platz 4. Ihm wird nachgesagt schon im IKZ am Breitenweg und in einer Moschee in der Neustadt zum Beten gegangen zu sein. Das IKZ gilt als Moschee der Djihadisten, die Moschee in der Neustadt als Muslimbruder nah, der dortige Imam hat in Mekka studiert, einer der Ausbildungsstätten des ultraorthodoxen Islam.
Die Schura hat damit immerhin drei wohlgesonnene Ansprechpartner in der Regierungspartei, die für ihr Anliegen nach islamischen Kindergärten und Schulen (staatlich geförderten Koranschulen) unterstützend eingreifen können.
Darüber hinaus zogen auch Mehmet Ali Seyrek und eine weitere Kandidatin mit Unterstützung der Alevitischen Gemeinden in Bremen über die SPD-Liste in die Bürgerschaft ein. Ihre ursprünglichen Listenplätze hätten nicht für den Einzug in das Landesparlament gereicht.
Die Verbindungen zwischen Parteien und Religionsgemeinschaften finden ihren Ausdruck etwa in einem Mandat (auf sicherem Listenplatz) für die Leiterin der Obdachlosenhilfe der Inneren Mission Katharina Kähler über die SPD-Liste. Die Innere Mission hat in Bremen ein Quasimonopol bei der gewerbsmäßigen Betreuung von Obdachlosen und zählt zu den größten Empfängern von staatlichen Leistungen.
In der zukünftigen CDU-Fraktion finden sich vier Vorstandsmitglieder des evangelischen Arbeitskreises der CDU, angeführt vom Vorsitzenden Claas Rohmeyer. Und es darf natürlich Sigrid Grönert nicht fehlen, der auch die Stimmen aus dem evangelikalen Lager den erneuten Einzug in die Bürgerschaft einbrachten. Frau Grönert gehört der evangelikalen Freikirche der Paulusgemeinde an.
Den größten Hub über die Unterstützung des nationalistisch religiösen Spektrums um das Wahlbündnis von Erdogan, AKP und Grauen Wölfen schaffte der CDU-Abgeordnete Oguzhan Yazici bei der CDU. Von Platz 25 (CDU 21 Sitze) sprang er mit 5838 Stimmen (Ca. 1200 Persoenen) auf den dritten Platz. Er war von der UID, dem Lobbyverein Erdogans und einer AKP Bremen Seite beworben worden. Auch einige Moscheen rührten die Werbetrommel für Yazici. In den ATIB Moscheen (Graue Wölfe) ist er gern gesehener Gast.
Stabile Koalitionen sind in Bremen nur möglich, wenn sich in allen Fraktionen die „Religiösen“ parteikonform verhalten. Damit haben sie ein großes Druckpotential, ihre ureigensten religiösen Anliegen durchzusetzen. Staatliche Mittel werden damit zur Belohnung und Beute für religiöse Gruppen.