Das Buch ist als Argumentationshilfe gegen Islamismus wenig geeignet
Eren Güvercin ist medial stark präsent. Wenn es um die türkische Einflussnahme auf Moscheeverbände in der Bundesrepublik geht, ist seine Meinung gefragt.
Jetzt hat er mit seinem Buch „DITIB und der ferngesteuerte Islam in Deutschland“ eine zusammenhängende Darstellung der aus seiner Sicht notwendigen „religionspolitischen Zeitenwende“ in der deutschen Islampolitik“ vorgelegt und auch mit zahlreiche Fakten untermauert.
Allerdings fehlt es in seinem Buch an einigen wichtigen Einlassungen und es weist darüber hinaus einige Verengungen auf.
Der Islamismus ist nicht auf die salafistischen und von öffentlich Antisemitismus propagierenden Islamisten beschränkt, aus deren Reihen die Mehrheit der Gewalt ausübenden Personen kommt und die sich an Kalifats Demonstrationen oder Antisemitischer Propaganda beteiligen. Das Spektrum des legalistischen Islamismus, welches um ein Vielfaches größer ist als das der Salafisten, wird bei Güvercin weitgehend ausgeblendet.
Die Einschränkung auf die DITIB und die drei anderen durch die Herkunft der Aktivisten aus der Türkei, Milli Görüs, ATIB (Graue Wölfe) verkürzt den Blick auf die anderen islamischen Akteure, die gemessen an der Personenzahl den Muslimen mit türkischen Wurzeln ebenbürtig sind. Allerdings haben die türkisch geprägten Moscheeverbände seit dem Zeitpunkt der „Gastarbeiterzuwanderung“ deutlich mehr Zeit gehabt und genutzt ihre Verbände und Moscheen aufzubauen als etwa die muslimischen Zuwanderer aus Syrien, dem Irak oder Afghanistan und damit einen Vorsprung beim Aufbau ihrer Strukturen.
Die Radikalisierung bis hin zu Gewaltbereitschaft führt Güvercin auf den Einfluss einiger Salafisten und deren Aktivitäten auf TIK TOK und Telegram zurück. Hier irrt Güvercin. Propagierung von Gewaltanwendung für den Propheten und die Umma, das Erniedrigen und Herabblicken auf Anders-, und Ungläubige ist ein durchgängiges Thema im Koran, den Hadithen und dem heutigen „Mainstream Islam“. In den ca. 2000 Koranschulen, davon fast die Hälfte nicht türkischen Ursprungs, der islamischen Gemeinden in Deutschland, werden ca. 100 000 Kinder und Jugendliche beim Hafiz, dem Auswendiglernen des Koran mit dieser Kriegerideologie der räuberischen arabischen Stämme indoktriniert. Diese Ideologie ist der Nährboden auf dem die Saat der Gewalt prächtig gedeiht. Über die Inhalte und Themen der Koranschulen dringt wenig nach außen. TIK TOK und Youtube kann jede sprachkundige Person nachverfolgen, daher wird dort mit angezogener Handbremse gepredigt.
Güvercin beklagt vor allem die Einflussnahme des türkischen Staates und seiner tragenden Parteien aus dem Spektrum des Herrschaftssystems des Islamisten Erdogan auf die in Europa und im speziellen in Deutschland agierenden Moscheeverbände mit türkischen Wurzeln. Diese Einflussnahme ist geprägt und motiviert von türkischem Nationalismus und Rassismus gepaart mit islamistischen Weltherrschaftsphantasien.
Hier beschreibt Güvercin sehr anschaulich, dass der Moscheeverband DITIB mit ca. 960 Moscheevereinen in der Bundesrepublik nichts anderes ist, als eine Auslandsvertretung des türkischen Staates, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln versucht Menschen mit türkischen Wurzeln ideologisch und organisatorisch an sich zu binden. Es ist ihm zuzustimmen, dass Religion hier oftmals als Vehikel zur Durchsetzung staatlich nationalistischer Ziele verwendet wird.
Diese Beschreibung trifft auch auf die Moscheeverbände ATIB (Graue Wölfe) und Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) zu. Milli Görüs gilt als türkische Variante der Muslimbrüder. Auch hier kommen einige der mehr als 1000 Staatsbeamte der türkischen Religionsbehörde Diyanet als Imame in Deutschland zum Einsatz. DITIB wird direkt von den Religionsattaches der türkischen Konsulate gelenkt. Heftige Kritik übt er an der Vereinbarung zum Einsatz der türkischen Imame an Moscheen in Deutschland. Die Vereinbarung von Nancy Faser nur noch 100 Imame pro Jahr nach Deutschland zu entsenden, davon 75 direkt aus der Türkei und 25 hier von DITIB selbst ausgebildeten, bezeichnet er richtigerweise als Mogelpackung.
Allerdings hätte Güvercin auch ruhig mitteilen können, dass der ehemalige Religionsattache des Kölner Generalkonsulats, Muharrem Kuzay, inzwischen Vorsitzender von DITIB ist.
Die Ausführungen von Güvercin sind nicht so umwerfend neu, die viele Fakten sind auch im deutschsprachigen Wikipedia Eintrag zu DITIB oder der Presse nachlesbar.
Güvercins Anliegen scheint primär die Herausbildung eines „Deutschen Islam“ zu sein. Im Schlußplädoyer seines Buches übt er kräftige Kritik am Umgang des deutsches Staates mit den konservativen, aus der Türkei ferngesteuerten Moscheeverbänden. Diese würden mit Staatsverträgen und als Durchführende bzw. Kooperationspartner beim islamischen Religionsunterricht in inzwischen 9 Bundesländern, belohnt.
Die konkrete Antwort, was den einen deutschen Islam vom türkischen oder arabischen Islam unterscheidet, bleibt er schuldig. Wesentliches Element seiner Forderung an einen „deutschen Islam“ scheint die Übernahme der Staatsdoktrin eines positiven Verhältnisses zu Israel zu sein. Kritik zur Unterdrückung von Frauen aus der islamischen Ideologie, dem Schüren von Hass auf Homosexuelle oder die Anerkennung der Prinzipien der Scharia innerhalb der muslimischen Community durch die Moscheeverbände findet bei Güvercin nicht oder nur in Nebensätzen statt.
Natürlich, und das ist ein geschichtlich bewiesene Erkenntnis, wandern die Religionen mit den Migrationsströmen um die Welt. Das Christentum wurde mit dem Kolonialismus nach Amerika, dem südlichen Afrika und Teilen Asiens „exportiert“. Genauso haben die Eroberungszüge der islamischen Kalifen den Islam nach Zentralasien und den größten Teil Afrikas gebracht. Arbeitsmigration nach Europa und Amerika brachte nicht nur Menschen, sondern auch deren Religionen mit. Völlig normal ist auch, dass diese Migranten, zeitlich begrenzt, einen Bezug zu ihrem Herkunftsland und deren Ideologien und Religionen behalten. Das gegenwärtige Erstarken der Evangelikalen in Deutschland beruht ausschließlich auf Einwanderung, Die Orthodoxen Kirchen mit inzwischen 2-3 Millionen sich zugehörig Zählenden und auch die etwa 5 Millionen Muslime sind überwiegend Zugewanderte. Das hier rassistische und missionarisch agierende Staats und Religionsvertreter aus den Herkunftsländern aufspringen, ist mehr als logisch. Religionsgemeinschaften aus dem eigenen Land können auch bestens als NGOs in anderen Regionen zur Einflusssicherung genutzt werden. In zahlreichen südamerikanischen und afrikanischen Ländern haben aus den USA finanzierte und mit Personal ausgestattete evangelikale Organisationen diesen Job für die US Einflussnahme oftmals erfolgreich erledigt. Diese Form der Einflussnahme ist auch weniger anrüchig und skandalbehaftet als Putsche oder militärische Interventionen.
Diese Herausforderung bringt den deutschen Staat mit den neuen zugewandten Religionen in eine Zwickmühle. Der deutsche Staat, wie auch alle anderen auf Herrschaft beruhenden Staaten, haben ihre Ursprungsreligionen in einem von Hegemoniekämpfen geprägten Prozess in das Staatswesen integriert. Die Religionsgemeinschaften sind ideologische Apparate des Staates und formulieren maßgebend die Methaethik der jeweiligen Gesellschaft. Die Religionsgemeinschaften übernehmen Teile des Bildungs-, des Sozial-, und des Gesundheitswesens die überwiegend vom Staat finanziert werden. Diese Symbiose funktioniert prächtig zum gegenseitigen Vorteil.
Diese Rolle möchte der deutsche Staat auch den zugewanderten Religionsgemeinschaften zukommen lassen, wohl wissend, dass dies ein langer Prozess ist. Es ist jedoch das primäre Staatsziel, damit die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu stabilisieren.
Dass der Staat nicht die Menschen vor den Auswüchsen von Religionsgemeinschaften schützt, wissen wir spätestens seit den Mißbrauchsskandalen in der katholischen Kirche. Warum sollte der Staat also Menschen vor religiös begründeten Kinderehen oder gewaltsamem Patriarchat schützen. Der Deal mit den Religionsgemeinschaften käme bei rigorosem Durchgreifen von Polizei und Justiz in Gefahr. Genauso schlimm ist die fortgesetzte finanzielle und ideelle Förderung von ca. 200 evangelikalen Schulen, deren Homophobie und Frauenfeindlichkeit denen der Islamisten sehr nahe kommt.
Der zweite Grund für den Kuschelkurs sind die wirtschaftlichen Ziele des deutschen Staates, insbesondere der auf seinem Gebiet angesiedelten Unternehmen und seiner außenpolitischen Ambitionen.
Explizit die Türkei ist wesentlich mit deutschen außenpolitischen Interessen verbunden. Die Türkei ist NATO Mitglied und es besteht über die EU ein Freihandelsabkommen. Zahlreiche deutsche Industrieunternehmen nutzen die Türkei als Produktionsstandort mit niedrigen Löhnen, es existiert ein Exportüberschuss. Milliarden werden nach Ankara überwiesen, um ein Bollwerk gegen ungewollte Zuwanderungsströme zu bilden. Deutsche Außenpolitik ist auf die Erschließung von Märkten für deutsche Unternehmen ausgerichtet. Es wäre ein Novum, wenn ausgerechnet bei der Türkei, Verstöße gegen Menschenrechte oder entsprechende Einflussnahmen von türkeistämmigen Menschen in Deutschland, vom deutschen Staat beanstandet und damit die Exportgeschäfte vereitelt werden würden.
Somit ist die Türkei ein „formeller Bruder“ und NATO Verbündeter und da ist es üblich sich nicht gegenseitig Vorwürfe zum Demokratieverständnis oder dem Umgang mit Frauenrechten zu machen.
Und dann steht der deutsche Staat ja noch in der Tradition seiner eigenen Unterstützung missionarischer Aktivitäten mittels der beiden Amtskirchen. Die Sternsinger ziehen in jedem Jahr von Haus zu Haus und sammeln für die Weltmission der katholischen Kirche. Selbst bei einem erklärten Atheisten, wie dem Bürgermeister von Bremen werden sie empfangen und gehen öffentlichkeitswirksam ins Rathaus.
Güvercin ist auf der richtigen Spur, der türkische Staat transportiert mit Hilfe von DITIB, ATIB und Milli Görüs seine nationalistisch rassistische Ideologie in die Bundesrepublik. Diese Ideologie ist nicht so modern wie die Mainstreamideologie oder Metaethik in der BRD.
Im entscheidenden Moment biegt Güvercin jedoch falsch ab. Das Problem ist der Mainstream Islam an sich und der Umgang des Staates mit Religionsgemeinschaften und nicht primär die Frage, ob der Islam türkisch, bosnisch oder deutsch ist.
Ein anschauliches Beispiel ist die zentrale islamistische Bildungsstätte das „Islamkolleg“ in Osnabrück und das mit ihm eng verbundene Studienwerk Avicienna.
Hier haben sich Islamisten verschiedener Herkunft, deutsche, marokkanische, bosnische und auch türkische mit großer finanzieller und personeller Unterstützung des deutschen Staates und einiger in Deutschland und der Schweiz gemeldeten Stiftungen eine „deutsche“ Ausbildungsstätte geschaffen, deren Inhalte weitgehend der Denkschule der Muslimbrüder entsprechen. Hier wird primär Islamismus vermittelt, der nationale Ursprung ist zweitrangig. Und auch in den ca. 80 muslimischen Hochschulgruppen ist Deutsch die Umgangssprache und die örtliche Anbindung erfolgt nach ideologischer Nähe und nicht nach Nationalität. Die islamistischen Hochschulgruppen kooperieren überwiegend mit Moscheen und Islamischen Zentren, deren Umgangs-, und Predigtsprache Deutsch ist. Die türkisch geprägten Moscheen von DITIB, ATIB und VIKZ sind dabei zweite Wahl.
Der deutsche Islamismus, der sich nicht im Fahrwasser des türkischen Nationalismus bewegt orientiert sich an den zentralen islamistischen Instanzen, wie der Internationalen Union der Muslimischen Gelehrten (IUMS) dem Council of Europian Muslims, (CEM) oder dem europäischen Jugendverband Femyso, die alle von der Muslimbruderschaft dominiert werden.
Der Ansatz von Eren Güvercin greift also zu kurz. Es geht nicht um die Frage türkischer oder deutscher Islam, es geht um den Islamismus des Mainstreamislam. Und wenn er in deutschen Universitäten und Ausbildungsstätten gelehrt wird macht es ihn inhaltlich nicht besser. In Deutschland geschulte Islamisten sind nach jetzigen Erfahrungen deutlich geschmeidiger, als ihre kaum deutsch sprechenden Imamkollegen aus der Türkei. Letztere sind für die Gemeinden sogar ein Problem geworden, da sie die weitgehend deutschsprachigen Jugendlichen immer weniger erreichen können.
Ein „deutscher Islam“ ist nicht zwangsläufig besser, als ein türkischer Islam. Wenn man in der gegenwärtigen nationalistisch geprägten politischen Debatte laut nach dem „Deutschen Islam“ ruft, bringt dies mit Sicherheit mehr Aufmerksamkeit, als eine nüchterne Religionskritik.
Da Güvercins Buch nicht wirklich neue und erhellende Erkenntnisse darlegt, gehört es wohl eher zur Kategorie: Ein Islamexperte muss eben auch ein Buch geschrieben haben.
Pech gehabt hat Güvercin auch mit dem Abschreiben von Inhalten Anderer. Daher stellte der C H Beck Verlag die Auslieferung des Buches vorläufig ein. Die islamistischen Netzwerke mit Türkeibindung waren ob dieses gravierenden Fehlers voll der Spotts und der Häme. Der berechtigten Kritik am Islamismus hat Güvercin, der stellvertretender Vorsitzender des Vereins „Liberale Vielfalt“, ist, der sich selbst als „Vorfeldorganisation“ der FDP beschreibt, keinen Gefallen getan.