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Anfrage zu Evangelikalen in der Bürgerschaft

Ein Stich ins Wespennest

Die Antwort des Bremer Senats: Wir wissen Nichts.

Der Bremer Pastor Latzel machte mit seinen homophoben Aussagen bundesweit Schlagzeilen. Zeitgleich wurde in Bremen ein Fall der Diskriminierung eines Transmannes in einer christlich evangelikalen Schule bekannt.

Diese, gänzlich im Widerspruch zur verkündeten Politik des Bremer Senats stehenden Vorfälle, veranlasste die Fraktion der „Linken“ eine kleine parlamentarische Anfrage zur Verbreitung und Finanzierung der Evangelikalen in Bremen zu stellen. Der größte Teil der 16 Fragen bezogen sich auf die Finanzierung von evangelikalen Schulen und Kindergärten und Einflussversuche von religiösen Aktivisten in den staatlichen Schulen Bremens.

Die Antwort des Senats ist eine weitgehende Aussageverweigerung. Gänzlich offensichtliche Fakten, die teilweise auch der Bremer Tagespresse zu entnehmen sind, wurden mit der lapidaren Antwort: „Dem Senat liegen keine Erkenntnisse vor“ abgebügelt. Zudem berief sich der Autor der Vorlage auf die Formulierung „Es gibt keine allgemein verbindliche Definition des Begriffs „Evangelikalismus“,“ um dann aber im nächsten Abschnitt die „Evangelische Allianz“ als das Netzwerk der Evangelikalen darzustellen. Bei der Frage nach den von Evangelikalen betrieben Kindergärten wird dann wieder gesagt, dass der Senat ja nicht wissen könne wer denn evangelikal sei.

Allein die Tatsache, dass die übliche Beantwortungszeit für kleine Anfragen von drei Wochen seit dem 2. März fünf Mal verschoben wurde, lässt auf eine besondere Brisanz des Themas schließen. Schließlich werden in Bremen zwei evangelikale Schulen mit insgesamt 1800 Schüler*innen und 15 evangelikale Kindertageseinrichtungen durch Steuergelder aus dem Bildungsressort finanziert. Seit Jahren wurden Versuche dokumentiert, wie Evangelikale mit Bildungs-, und Sozialangeboten auch in staatlichen Schulen aktiv sind. Oft agieren hier Evangelikale, die innerhalb der Evangelischen Landeskirche organisiert sind, unter deren Deckmantel.

Allein die Tatsache der parlamentarischen Anfrage der „Linken“ von Anfang März 2021 hatte bereits für eine Welle der Empörung bei der kirchlichen Lobby gesorgt. Das evangelikale Magazin idea interviewte die evangelikale FDP Abgeordnete Birgit Bergmann zu diesem Thema, der Arbeitskreis Christenverfolgung der Evangelischen Allianz berichtete ausführlich mit dem Tenor: „Bergmann: Christen sollen diskreditiert werden“. Die CDU Fraktion brachte am 15. März (Drucksache 20/869) einen Entschließungsantrag in die Bürgerschaft ein, indem sie die „Linke“ beschuldigte, mit derartigen Anfragen eine Mitverantwortung für Farbanschläge auf Kirchengebäude zu tragen. In dem CDU Antrag mit dem Titel, „Alle Religionsgemeinschaften im Land Bremen verdienen Respekt und Schutz“. (Also auch die Moscheen der Muslimbrüder und Hisbollah, die Zeugen Jehovas und Evangelikalen) heißt es: „Nachdem sich offenbar alle demokratischen Fraktionen des Bremer Parlamentes bestürzt über den Farbanschlag auf die St. Martini Gemeinde gezeigt haben, befremdet die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE mit dem Titel „Wie breit sind evangelikale Strömungen in Bremen vertreten, wie radikal sind sie und welchen Einfluss haben sie“(Drs.20/850) schon sehr. In dieser parlamentarischen Initiative ist ein potentieller Generalverdacht gegen alle konservativ christlichen Glaubensgemeinschaften, sie seien pauschal homophob und islamfeindlich, zumindest unterstellt.“

Mit der Anfrage der „Linken“ sollte die über Jahre gelebte Kooperation zwischen der Verwaltung der Stadt Bremen und evangelikalen Einrichtungen, öffentlich gemacht und damit sicherlich in einigen Teilen auch in Frage gestellt werden.

Seitens des Senats wurde die Beantwortung der Fragen dem Ressortleiter für allgemeinbildende Schulen in der Bildungsbehörde übertragen. Dessen erster Entwurf für die Senatssitzung am 1. Juni wurde gestoppt. Zu offensichtlich war die völlige Aussageverweigerung. Dieser Ressortleiter hatte in der Vergangenheit bereits seine Nähe zu christlicher Einflussnahme in den Schulen zum Ausdruck gebracht. In einem von ihm verfassten Empfehlungsschreiben der Bildungsbehörde an alle Schulleiter der Sek I Stufe, wurde darum gebeten den Stundenplan so zu gestalten, dass die Kinder der 7. und 8. Klassen an Dienstagen nicht durch Nachmittagsunterricht an der Teilnahme am Konfirmationsunterricht gehindert werden.

In einer Vorlage (VL 20/653 ) für die Bildungsdeputation (Parlamentsausschuss der Bürgerschaft) berichtete er über das Projekt PIKS der evangelischen Jugend in Bremen für die Oberschulen. Darin formulierte er im November 2019: „Die Senatorin für Kinder und Bildung hat dem PiKS-Team angeboten, das Angebot bei den Schulen bekannter zu machen, beispielsweise über ein entsprechendes Informationsschreiben.“

PIKS agiert auch mit evangelikalen Referenten und bietet in den Oberschulen Unterrichtseinheiten und 3 tägige Klassenfahrten an. In ca. 20 Bremer Oberschulen, zumeist in Zusammenarbeit mit Mitgliedern des evangelischen Religionslehrerverbandes, wurde PIKS aktiv.

Diese Parteinahme von „engagierten Christen“ in der Verwaltung und Politik wurden jahrzehntelang in Bremen einvernehmlich und vor allem vertraulich geregelt. Zum Teil spiegelt sie sich auch in personellen Verquickungen wieder. In den ständigen Ausschüssen der evangelischen Kirche, der Leitungsebene, finden sich immer wieder leitende Beamte der Bildungs-, und Sozialbehörde, sowie Politiker*innen.

Einige Beispiele: .

Die SPD Politikerin Elke Steinhöfel, war jahrelang SPD Bürgerschaftsabgeordnete, dann Leiterin eines Sozialamtes in Bremen. Ab 2007 gehörte sie dem ständigen Ausschuss der Bremer Evangelischen Kirche (BEK) für „Diakonie und gesellschaftliche Verantwortung“ an.

Dr, Heidemarie Rose, über viele Jahre Leiterin des Jugendamtes in Bremen gehörte ab 2001 ebenfalls einem ständigen Ausschuss der BEK an.

Die zuständige Referentin für Personaplanung des gehobenen Dienstes in der Bildungsbehörde war bis 2019 Mitglied des Ausschusses für Kinder und Jugendliche in der BEK.

Ein leitender Beamter des Landesinstituts für Schule gehört in der dritten Wahlperiode einem ständigen Ausschuss der BEK an.

Diese Liste ließe sich über viele Parteien und weitere Personen fortsetzen. Thomas Rövekamp, CDU Fraktionsvorsitzender gehört einem ständigen Ausschuss der BEK an und kann als Vertreter der Kirche in Bremerhaven an allen Sitzungen der Bremer Kirchenleitung teilnehmen. In dieser Zeit konnten Einrichtungen der Evangelischen Kirche ihre Angebote erheblich ausbauen. Die evangelische Kirche verfügt über den mit Abstand größten Jugendhilfeträger in Bremen. Die evangelischen Kindergärten haben in den Jahren bis 2020 einen enormen Wachstumsschub erfahren. Die Obdachloseneinrichtungen der Inneren Mission haben in Bremen eine Monopolstellung und werden mit zig Millionen aus dem Sozialressort finanziert.

Unter dem Deckmantel der „großen“ evangelischen Kirche (ca. 28 Prozent der Bremer*innen gehören ihr als Mitglied an, davon 95 Prozent Karteileichen) segelten auch die Evangelikalen mit.

In der Zeit nach 2000 konnten die Evangelikalen zehn neue Kindergärten eröffnen und damit ihren Bestand an Kitas verdreifachen, die Schulplätze der evangelikalen Bekenntnisschulen haben sich in dieser Zeit mehr als verdoppelt. Heute fließen 6,4 Millionen Euro jährlich aus allgemeinen Steuermitteln in die missionarischen Schulen der Evangelikalen. Das Sozialwerk der freien Christengemeinde verdreifachte seine Beschäftigtenzahl auf nunmehr 600. Diese erhebliche Expansion von Einrichtungen, durch Steuermittel des Staates finanziert, konnte nur über Verbindungen in die Behörden erreicht werden. Insbesondere die Evangelikalen innerhalb der „großen“ evangelischen Landeskirche konnten als Mitglieder der Amtskirchen agieren und ihre missionarischen evangelikalen Einrichtungen massiv ausbauen.

Ein weiterer Teil des Fragenkatalogs der „Linken“ bezog sich auf die Sexualerziehung in den evangelikalen Einrichtungen. Etwa die Frage nach kreatonistischen Inhalten, konkret dem Buch Creatio, der „Bibel“ der Evangelikalen zu Erklärung der Welt. Gefragt wurde nach den Aktivitäten des evangelikalen Projekts „Menschenskinners“ / christliche Elterninitiative, (Beiratsmitglied, die FDP Abgeordnete Birgit Bergmann) und deren Aktivitäten an öffentlichen Schulen. Die Projektleiterin des Aufklärungsprojekts ist Aktivistin in einer Pfingstkirche.

Die Antwort aus der Feder des Ressortleiters für allgemeinbildende Schulen in Bremen ist eine Farce. Da heißt es, die Privatschulen arbeiten auf der Grundlage des bremischen Privatschulgesetzes und unterliegen der staatlichen Aufsicht: Also ist alles in Ordnung. Andere Erkenntnisse liegen dem Senat nicht vor.

Als Beweis für die Korrektheit des Schulbetriebs wurde vom Ressortleiter über zwei Seiten die Stellungsnahmen der beiden evangelikalen Schulen in die Senatsvorlage eingefügt.

Also im Klartext. Der Ressortleiter aus der Bildungsbehörde schickt die Anfrage der Linken an die beiden nachgefragten Schulen und lässt sich von diesen Schulen den Nachweis der Unbedenklichkeit ihres Unterrichts erbringen. Offensichtlicher lässt sich die enge Kooperation der Behörde mit den Evangelikalen nicht belegen. Und welch Wunder; Homophobie ist in den evangelikalen Schulen (nach eigener Aussage) nicht vorhanden.

Ehemalige Schüler*innen dieser Schulen zeichnen ein völlig anderes Bild. Schulintern wird vermittelt, dass lediglich auf Grund des staatlichen Lehrplans Evolutionstheorie gebüffelt werden muss, um das Abi ablegen zu können. Inhaltlich sei die Schöpfungsgeschichte jedoch der tatsächliche Gang der Geschichte.

Die evangelikalen Schulen, erwarten von den sich bewerbenden Lehrkräften nicht nur einen pädagogischen Abschluss, sondern auch einen Lebenslauf, der ihre „christliche Laufbahn“ beinhaltet. Die meisten der bekannten Lehrkräfte stammen aus verschiedenen evangelikalen Gemeinden Bremens und des Umlandes. „Normale“ Lehrkräfte, auch mit der Mitgliedsbescheinigung der evangelischen Amtskirche, finden sich kaum. Die Freie Evangelische Bekenntnisschule ist das gemeinsame Projekt der am stärksten missionarisch evangelikal agieren Gemeinden innerhalb und außerhalb der BEK. Der frühere stellvertretenden Schulleiter der evangelischen Bekenntnisschule, dem vorgeworfen wird einen „Transmann“ diskriminiert zu haben, ließ seine Kinder in der Martinikirche von Olaf Latzel konfirmieren und seine Frau war in der Martinigemeinde im Kirchenvorstand. Für diese Gemeinde ist „Gender“ ein Angriff auf Gottes Schöpfungsordnung.

Von der Belegschaft dieser Schule eine korrekte Umsetzung gendergerechter Sexualerziehung im Sinne der bremischen Schulinhalte zu erwarten würde der Illusion entsprechen von einem Taschendieb zu glauben, eine gefundene Geldbörse beim Fundamt abzugeben.

Die „Linken“ haben mit ihrer Anfrage auf die Verquickung zwischen Bremer Behörden und der evangelischen Kirche, in der die Evangelikalen eine große Rolle spielen, gezielt. Schon im Vorfeld der Beantwortung hat es reichlich Störfeuer gegeben und die Behörden selbst haben gemauert bis hin zu totalen Aussageverweigerung.

Dies zeigt wie notwendig und richtig dieser Anfrage war.

Da gilt es weiter zu bohren.

Wer sich weitergehend über die evangelikalen Strukturen in Bremen informieren will kann auf die Broschüre des IBKA Bremen zurück greifen. Sie steht unter: http://www.forumsaekularesbremen.de/2020/04/06/neue-fassung-die-evangelikalen-in-bremen/ im Netz.