Die Kirchenmitgliedschaft als Einstellungsvoraussetzung bei Caritas und Diakonie, das ist weitgehend Vergangenheit. Als letztes Druckmittel, um den größeren Teil der Beschäftigten bei Caritas und Diakonie als KirchensteuerzahlerInnen zu behalten, war die Entlassung von Beschäftigten bei Kirchenaustritt. Ein Kirchenaustritt wird als gegen die Kirche gerichteter Schritt bewertet. Dieser Grundsatz wurde von den beiden Amtskirchen auch nach den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs weiter vertreten. Jetzt hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschieden, dass die Entlassung eines Kochs wegen Kirchenaustritt in einem Evangelischen Kindergarten nicht rechtmäßig war. Damit dürfte absehbar eine weitere Säule des diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrechts zusammenbrechen.
Die Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts beruhen auf zwei Säulen und einer Fake-Info:
Das „Allgemeine Gleichheitsgesetz“ verbietet jegliche Diskriminierung u.a. wegen des Glaubens. Allerdings gilt dies nicht für die Kirchen innerhalb ihrer Einrichtungen und Sozialwerke. Der § 9 des Gesetzes schaffte für die Kirchen ein Sonderrecht zur Diskriminierung Konfessionsfreier indem sie entlassen werden können oder bei der Einstellung nicht berücksichtigt werden müssen. Darüber hinaus bestraft die katholische Kirche auch unchristliches Verhalten wie etwa eine zweite Eheschließung oder gleichgeschlechtliches Zusammenleben.
Dieser Praxis ist mit den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes aus 2018 und 2019 für die große Mehrheit der Beschäftigungsverhältnisse bei Diakonie und Caritas ein Riegel vorgeschoben worden.
Anders als in Privatunternehmen bzw. beim Staat, gilt in kirchlichen Einrichtungen das Betriebsverfassungsgesetz bzw. gelten die Personalvertretungsgesetze nicht. Die in den kirchlichen Einrichtungen gewählten Mitarbeiter*innenvertretungen (MAV), verfügen bei weitem nicht über die rechtlichen Möglichkeiten der Interessenswahrnehmung wie ihre Betriebsratskolleg*innen in privaten oder öffentlichen Unternehmen. Überdies durften bis 2018 nur Kirchenmitglieder in diese Gremien gewählt werden.
Die Fake-Info basiert auf einer weit verbreiteten Ansicht, dass es in kirchlichen Einrichtungen kein Streikrecht gibt und deshalb auch keine Gewerkschaft berechtigt ist, für Tarifverträge zu kämpfen. Verdi hat mit kirchlichen Einrichtungen zahlreiche Tarifverträge abgeschlossen. Darunter befinden sich die Nordkirche (Hamburg, Schleswig Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) und die niedersächsische Diakonie. Im Sommer 2019 hat Verdi ein katholisches Krankenhaus im Saarland bestreikt. Geht alles, hängt vorrangig von der Organisationsstärke der Gewerkschaft ab. Das Streikrecht holt man sich durch Streik und Tarife setzt man notfalls mit Streiks durch. Paragraphen, die ein Streikverbot bei Kirchenbetrieben regeln, gibt es nur in den Gebeten der Kirchenoberen aber in keinem Gesetzbuch.
Caritas und Diakonie beschäftigen inzwischen hunderttausende Konfessionsfreie
Der Dogma der Kirchen, nur Christen einzustellen, ist gebrochen. In den letzten Jahren sind zehntausende Konfessionsfreie bei Caritas und Diakonie eingestellt worden. Meistens leise und ohne Öffentlichkeit. Vor allem die Kirchen haben am Stillschweigen ein Interesse.
Einige evangelische Landeskirchen haben auch offiziell davon Abstand genommen, die Kirchenmitgliedschaft bei Einstellungen zu prüfen. Dies sind u.a. die Landeskirchen Sachsen, Berlin/Brandenburg, Mitteldeutschland und die Nordkirche. Diese Landeskirchen umfassen immerhin 8 von 16 Bundesländern mit 25 Millionen Menschen.
Darüber hinaus ist vor allem in den deutschen Großstädten die Einstellung von Konfessionsfreien üblich, wenn es die Stellensituation erfordert.
Für Jobs in den meisten evangelischen Einrichtungen in Bremen gilt: Kirchenmitgliedschaft nicht mehr notwendig.
In der Stadt Bremen leben 570 000 Menschen. Die Anzahl der Katholik*innen ist 2018 unter die 10 Prozent Hürde gefallen. Nur noch 31 Prozent gehören der Evangelischen Kirche an. Weniger als 20 Prozent der in Bremen geborenen Kinder werden getauft, Tendenz weiter abnehmend.
Angesichts des Fachkräftemangels insbesondere in der Pflege, bei Erzieher*innen und ausgebildeten Sozialarbeiter*innen und dem im vorherigen Absatz skizzierten möglichen christlichen Nachwuchs, sind sie vor die Wahl gestellt, die kirchlichen Dogmen einzuhalten und dadurch unter zu gehen oder die wirtschaftliche Existenz durch die Einstellung von Nichtchrist*innen zu sichern. Wo immer es für den Betriebsablauf notwendig ist, wird auf die Feststellung der Kirchenmitgliedschaft bei der Einstellung verzichtet. Nur herumsprechen darf sich diese Praxis aus Sicht der Kirchen nicht. Das würde bei dem jüngeren Pflege- und Erzieher*innennachwuchs die Bereitschaft zum Kirchenaustritt drastisch erhöhen.
Es glauben immer noch Hochschullehrer*innen, Studierende und Auszubildende in einigen Gesundheits-, sozialen und erzieherischen Berufen, dass es ohne Kirchenmitgliedschaft auf dem Arbeitsmarkt nicht ginge. Die Kirche wird es auch freuen, denn dieser Aberglaube führt zumindest in diesen Berufsgruppen zu einer erheblichen Zurückhaltung beim Kirchenaustritt und somit zu erheblichen Kirchensteuereinnahmen.
Auf der Synode der EKD im November 2018 wurde das Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD geändert. Bis zu diesem Zeitpunkt war es nur Mitgliedern christlicher Kirchen möglich, sich in die Mitarbeitervertretungen MAV (passives Wahlrecht) wählen zu lassen.
Jetzt steht die Wahl in eine MAV allen Beschäftigten der kirchlichen Einrichtungen offen, ob konfessionsfrei, muslimisch oder anderes. Nur wenige Landeskirchen haben diese Regelung noch nicht übernommen.
Dies ist ein sehr deutlicher Hinweis: Die Chefetage der evangelischen Kirche hat verstanden und akzeptiert, dass in ihren Einrichtungen massenhaft Menschen arbeiten, die ihrem Verein nicht angehören. Darüber haben sie natürlich auch nicht berichtet und gesprochen, denn dies wäre dem Eingeständnis der Niederlage ihrer bisherigen Politik gleich gekommen.
Im „Kircheninfo“, dem Newsletter der Gewerkschaft Verdi, vom März 2019 finden sich dazu folgende Sätze: „Zukünftig können endlich auch Nichtmitglieder christlicher Kirchen in die MAV gewählt werden, die so genannte ACK-Klausel wurde für Mitarbeitervertretungen sowie Jugend- und Auszubildendenvertretungen abgeschafft. Zum einen wurde diese Regelung ohnehin in mehr als der Hälfte der Landeskirchen nicht mehr angewandt. Zum anderen dürften höchstrichterliche Urteile zu der Frage, in welchen Fällen kirchliche Arbeitgeber von ihren Beschäftigten eine Konfessionszugehörigkeit verlangen können, einen Einfluss auf die evangelischen Entscheider/innen gehabt haben – unter anderen der Fall Vera Egenberger, die erfolgreich wegen Diskriminierung geklagt hatte. Ebenso hat sicher eine Rolle gespielt, dass in den meisten Einrichtungen die Mehrheit der Beschäftigten längst nicht mehr Mitglied der Kirche sind.“
Auch in den katholischen Einrichtungen genießen Nichtchristen das passive Wahlrecht in die MAV. Dies wird in den Handlungshilfen für die MAV auf der Webseite der deutschen Bischofskonferenz ausdrücklich hervorgehoben.
Mit der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden Württemberg LAG Baden-Württemberg (10.02.2021)Aktenzeichen 4 Sa 27/20 wird eine weitere tragende Säule des kirchlichen Arbeitsrechts in Frage gestellt.
Das Ende des kirchlichen Arbeitsrechts bei Diakonie und Caritas ist nahe.