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Christliche Kronzeugen für die Abschaffung des Bürgergeldes

Wenn eine sich medial als „Hilfswerk“ für Kinder aus einkommensschwachen Elternhäusern inszenierende Organisation wie „Die Arche“ zum Angriff auf das Bürgergeld bläst, stellen sich einige Fragen.

In der Bildzeitung vom 12.2.2024 lässt sich der Arche Gründer und evangelikale Pastor Bernd Siggelkow wie folgt zitieren: „Die Bürgergelderhöhung für alle ist ein Witz ! Statt den Regelsatz für alle Stütze Empfänger hochzusetzen, sollte das Jobcenter gegen Faulenzer härter vorgehen. Wer eigentlich arbeiten kann, aber mehrmals ein Jobangebot ablehnt, dem soll das Bürgergeld und die Bezahlung der Wohnung gestrichen werden.“

Übersetzt heißt dies: die Bürgergelderhöhung, zuletzt zum 1. Januar 2024, hätte ausfallen und stattdessen die Sanktionsmöglichkeiten erhöht werden müssen. „Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen!“ Ein bekannter Satz. Er stammt aus der Bibel, genauer gesagt vom Apostel Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Thessaloniki. Und Bibeltreu ist der evangelikale Aktivist und Pastor Siggelkow allemal.

Von den ca. 5,5 Millionen BezieherInnen von Bürgergeld sind lediglich 1,5 Millionen arbeitssuchend gemeldet. Die meisten BürgergeldempfängerInnen sind Krank, Kleinkinder, Schüler, Aufstocker weil der Lohn nicht reicht, pflegen Angehörige oder erziehen Kleinkinder. Bei nur 30 000 Personen davon hat es in der Vergangenheit Gründe für eine Sanktion gegeben. Zudem möchte sich Herr Siggelkow über Urteile des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzen, die die Totalsanktionen einschließlich der Streichung der Kosten für eine Wohnung für Verfassungswidrig erklärt haben. Nur deshalb sind Sanktionen auf 30 Prozent der Regelleistung begrenzt worden.

„Das Bürgergeld ist ein Verbrechen an unseren Kindern“, mit dieser Aussage schmückt sich auch sein zusammen mit dem Pressesprecher der Arche, Wolfgang Büscher herausgegebene Buch, „Das Verbrechen an unseren Kindern“ erschienen im erzkatholischen Bonifatius Verlag.

Diese steilen Thesen und politische Hilfestellungen für den Sozialabbau, der auf eine deutliche Einkommensreduzierung der Armutsbevölkerung und damit auch von ca. 2 Millionen Kindern hinausläuft, passt doch eigentlich nicht zu einem Kinderhilfswerk welches gegen Kinderarmut zu kämpfen vorgibt. Aber Bernd Siggelkow und Wolfgang Büscher vertreten sie mit Vehemenz. Vor allem die rechten Medien in Deutschland griffen die Thesen der Arche Chefs begeistert auf. Die rechtsradikale Medienplattform NIUS lud Siggelkow und Büscher sogar mehrfach zu langen Interviews ein. Die „Junge Freiheit“, ein Theorieorgan der Neuen Rechten lud ebenfalls zum Gespräch und entlockte Siggelkow in einem Interview zudem zahlreiche Stichworte für die „Remigration“.

Menschen die sich von NIUS und Junge Freiheit interviewen lassen, müssten eigentlich um deren Rolle als Organe der politischen Rechten wissen. Mit ihren Statements werden sie selbst zu Akteuren und Stichwortgebern einer „Rechtswende“.

Aber Siggelkow und der Coautor seines Buches, Wolfgang Büscher, Pressesprecher der Arche, kritisieren nicht nur, sie haben natürlich auch ein „Konzept“ gegen Kinderarmut, das über den Ausbau der nunmehr 33 Arche Standorten in Deutschland hinausgeht.

Dieses Konzept ist die „Kindergrundsicherung der Arche“ von 600 Euro für jedes Kind. Hört sich solide an. Dieses auch in ihrem Buch dargelegte Modell hat erhebliche Fallstricke und ist in der Konsequenz ein gigantisches Verarmungsprogramm für Kinder aus einkommensschwachen Haushalten.

Auf Seite 138 heißt es: „Wir fordern 600 Euro im Monat für jedes in Deutschland lebende Kind,vom ersten Tag seines Lebens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahrs. Und das für alle Kinder, unabhängig vom Einkommen der Eltern. Und weiter: 300 Euro von diesem Geld müssen in das Bildungssystem investiert werden, in die bessere Ausstattung von Kitas und Schulen. „

Weiter heißt es: „Die anderen 300 Euro müssen dann auf ein Konto der Kinder gehen und nicht wie beim Kindergeld auf das der Eltern.“

Kindergrundsicherung ist nach allgemeinem Verständnis die Zusammenfassung aller Leistungen, die jetzt an Kinder aus einkommensschwachen Familien ausgezahlt werden, also Sätze des Bürgergeldes, abzüglich des Kindergelds und Kinderzuschlag.

Und an dieser Stelle wird das Arche Modell zum Kürzungsprogramm. In den Jahren 2024/25 betragen die Sätze für Kinder aus dem Bürgergeld 357 Euro im Alter bis 6 Jahre, 390 Euro bis 13 Jahre, 471 Euro von 14 bis 17 Jahre und 451 Euro für junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren. Das Kindergeld wird hier angerechnet und nicht zusätzlich ausgezahlt.

Das Arche Modell fordert also eine Kürzung der Leistungen. Die 14 bis 17-jährigen heutigen Bürgergeldempfänger hätten nach dem Arche Modell einen Verlust von 171 Euro bzw. eines Drittels ihres Einkommens zu verkraften. Dies läge voll auf der Linie von Melonie in Italien und Milei in Argentinien, die die Unterstützung der Armutsbevölkerung gestrichen bzw. drastisch reduziert haben.

Für die Kinder von Menschen mit überdurchschnittlichem und hohem Einkommen würde das Arche Modell einen Einkommenszuwachs über das bisherigen Kindergeld hinaus und vor allem eine deutliche Verlängerung der Bezugszeit bedeuten.

Das Arche Grundsicherungsmodell ist folglich ein Umverteilungsmodell, den Ärmsten nehmen und den höheren Einkommensschichten geben.

Die geforderte Zahlung der 300 Euro auf ein Konto des Kindes, damit die Eltern es nicht zweckentfremden können, wie es immer wieder aus den Mündern und Texten der Arche Betreiber heißt, ist ein Treppenwitz. Praktisch hieße es, Moritz, 4 Jahre alt müsste von seinem Konto monatlich seinen Anteil an den Stromkosten an das Energieunternehmen überweisen und beim Haushaltseinkauf einen entsprechende Anteil entrichten. Mal abgesehen davon dass Banken und Sparkassen erst ab einem Alter von 14 bis 16 Jahren Konten einrichten, eine ideologisch geprägte Idee. Sie enthält einen ganz fundamentalen Vorwurf gegen alle Eltern im Leistungsbezug von Sozialleistungen, dass sie nicht mit Geld umgehen können, ihre Kinder vernachlässigen und der scharfen Kontrolle bedürfen.

Büscher ließ sich in der Bildzeitung mit folgender Weisheit zitieren: „Schon im Grundschulalter müssen sich die Kids morgens selbst fertig machen, weil die Eltern keinen Bock haben, früh aufzustehen. 40 Prozent aller Hartz IV Kinder sitzen dann ohne Frühstück in der Klasse. „ und weiter: „Spätestens ab dem 20. des Monats gibt es, wenn überhaupt, nur Nudeln mit Ketchup – aber Hauptsache, der Riesen-Flatscreen-Fernseher flimmert im Wohnzimmer.“

Und Siggelkow bei NIUS, „wenn die Mutter Nachts auf Sauftour geht, wollen die Kinder mit den Arche Mitarbeitern beten, dass dieses aufhört“.

Mit diesen Beschreibungen wird ein pauschales Bild der Eltern von Kindern aus Armutsverhältnissen gezeichnet, das in dieser Form nicht der Realität entspricht und in der Intention der Arche Sprecher nach drastischer Aufsicht, Kontrolle und Überwachung schreit. Und für diese Kontrolleinrichtungen ist natürlich, weil ethisch und biblisch qualifiziert, die Arche nach Eigenempfehlung bestens geeignet.

Die weiteren 300 Euro die die Kinder nach dem „Arche Grundsicherungsmodell“ erhalten sollen, da es Teil der individuellen Grundsicherung ist, sollen an Bildungseinrichtungen gehen, damit es für mehr Lehrer, Pädagogen usw., so die Arche verwendet werden soll.

Hört sich ungeprüft zunächst einmal gut an, enthält jedoch wiederum einige Hintertüren. 300 Euro monatlich für ein Kind im deutschen Bildungssystem ist weit weniger als die jetzt vom Staat aufgewendeten Mittel. Die durchschnittlichen Ausgaben im schulischen Bildungssystem betragen für laut Statista 9500 Euro jährlich pro Schulkind, also 791 Euro monatlich, an weiterführenden Schulen liegen die Sätze höher Sollen diese 300 Euro aus der „Arche Grundsicherung“ also oben drauf kommen oder die bisherige Zuwendungen ersetzten ? Die Arche lässt dies offen.

Mehr Geld aus dem Haushalten für die Bildungsetats des Staates fordert die Arche jedenfalls nicht.

Die Archen organisieren nach eigenen Angaben für 7000 Kinder in Deutschland Angebote, die mit den Programmangeboten, Nachmittagsbetreuung von Grundschulkindern, Hausaufgabenhilfen und Ausflügen mit den staatlich finanzierten Horteinrichtungen zu vergleichen sind. Dabei betont die Arche immer wieder, dass sie eine Lücke zwischen Schulen Elternhäusern füllen würde. Ihre Spendenaufrufe suggerieren, das die Arche in der Lage wäre hier flächendeckend zu wirken.

Insgesamt gab es im Jahre 2023 etwa 1,62 Millionen Kinder im Grundschulalter, die in einem staatlich finanzierten Nachmittagsbetreuungsangebot teilgenommen haben, entspricht etwa 55 Prozent aller Grundschulkinder. Davon etwa 1,3 Millionen in Ganztagsschulen und 256 000 Kinder in Horten. Ab 2026 gibt es die schrittweise Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulsystem. Da die Arche in ihren Einrichtungen auch Kinder über 10 Jahre betreut, dürfte ihr Anteil an den betreuten Kindern bei ca. 0,1 Prozent aller Kinder liegen.

Da die 300 Euro aus dem „Arche Grundsicherungsmodell“ als individueller Anspruch gedacht ist, müssten die Kinder folglich mit einer Art Gutschein ausgestattete werden, die sie dann entsprechend ihrem Wunsch, wohl eher dem der Eltern, bei einer bestimmten Schulen oder Hort einlösen könnten.

Dieser Zuwendungsweg würde das Tor für ein ausuferndes Privatschulsystem aufstoßen. In Deutschland besuchen etwa 10 Prozent aller Kinder eine Privatschule, die übergroße Mehrheit dieser Schulen befinden sich in christlicher Trägerschaft. Da nach den gesetzlichen Grundlagen für den Betrieb von Privatschulen auch einige Kinder, deren Eltern das übliche Schulgeld nicht aufbringen können, aufgenommen werden müssen, wirkt dies wie eine Expansionsbremse und hat schon zu Schulschließungen von katholischen Grundschulen geführt. Der „ 300 Euro Bildungsgutschein“ aus der Arche Grundsicherungsforderung würde diese Expansionsbremse der christlichen Bekenntnisschulen beseitigen.

Kinder aus Elternhäusern mit höherem Einkommen, könnten wie bei heutigen Privatschulen noch etwas drauflegen, um eine bessere Bildung und bessere Abschlüsse an „Eliteschulen“ zu erkaufen,

Auch dieses Modell ist der Wunschtraum neoliberaler politischer Kräfte, einerseits um das Bildungswesen weiter den privatwirtschaftlichen Profitprinzipien zu unterwerfen und damit andererseits die Elitekids schön unter sich bleiben können.

Die aussortierte Armutsbevölkerung aus Transferleistungsbeziehern und arbeitenden Armen, sollen durch christliche Ideologie und Kontrolle diszipliniert werden.

Die Arche und vergleichbare religiös bevormundende Projekte stehen schon als Betreuungs-, und Bildungsträger bereit. In Berlin hat die Arche bereits eine evangelikale Bekenntnisschule gegründet.

Viele Aspekte der Ideologie und Praxis der Arche erinnert an die disziplinierende Funktion der Arbeitshäuser mit dem Beginn der Industriealisierung im Mittelalter in Europa.

Für Menschen im Leistungsbezug von Bürgergeld, Kinderzuschlag und Kindergeld mit geringem Einkommen, sind die Vorschläge der Arche Vordenker für eine „Arche Grundsicherung“ von 600 Euro und die Attacken auf das Bürgergeld ein Frontalangriff.

Die evangelikale „Lausanner Bewegung“, die sich der Weltmission für ein erzkonservatives Christentum verschrieben hat, lud im Juni 2008 in Berlin zum „Runden Tisch“. Auf dieser Tagung sprach auch Bernd Siggelkow über die Arbeit der Arche. Da die Lausanner Bewegung als Zusammenschluss vieler weltweit agierenden evangelikaler Kirchen und Sekten, mit missionarischem Auftrag agiert, dürfte sie weniger an den Nachmittagsversorgungslücken im deutschen Bildungssystem, sondern vielmehr darin interessiert gewesen sein, mittels der Kinderbetreuungseinrichtungen die Verbreitung der Bibel zu fördern.

Die Archen sind primär evangelikale Missionseinrichtungen, Punkt.

Der Autor dieser Zeilen arbeitet seit 30 Jahren als Sozialberater mit dem Schwerpunkt Bürgergeld, Arbeitslosengeld, Kinderzuschlag und Wohngeld.